Ein Video vom weinendem Xavier Naidoo, mysteriöse Begriffe wie „Adrenochrom“ und „QAnon“ – Alina taucht tief in die Welt der Verschwörungstheorien ein. Was steckt hinter diesen Mythen? Warum glauben Menschen an solche Erzählungen? Und welche Rolle spielen soziale Medien dabei? Eine spannende Recherche über Fake News, Manipulation und die Suche nach einfachen Antworten in einer komplexen Welt.
Xavier Naidoo und der Mythos um Adrenochrom
Ich liege in meinem Bett und scrolle durch Instagram. Da taucht ein Video von Xavier Naidoo auf, in dem er weint und behauptet, dass Kinder aus den Händen eines „pädophilen Netzwerkes“ befreit würden.
Er sagt, ich solle nach „Adrenochrom“ suchen.
Das mache ich; und finde heraus: Adrenochrom ist ein körpereigenes Stoffwechselprodukt von Adrenalin.
Das pädophile Netzwerk, von dem Naidoo redet, soll Kinder entführen und foltern. Aus dem so gewonnenen Adrenochrom stelle es ein Verjüngungsmittel her.
Das klingt… extrem, denke ich mir. Extrem unglaubwürdig. Eine weitere dieser Verschwörungstheorien, die in letzter Zeit überall herumgeistern. Aber ich will wissen, was dahinter steckt… und recherchiere weiter.
Ich stoße auf Tweets und Telegram-Gruppen, in denen über Adrenochrom geschrieben wird. Und über QAnon.
Ich bin verwirrt. Was ist QAnon?
Was ist QAnon? Der Mythos vom Deep State und der Schattenregierung
Thomas Laschyk – Gründer von „Volksverpetzer“
Dieser Mythos geht auf ein Märchen aus US-amerikanischen Foren zurück. Dort hat ein anonymer User behauptet, er sei ein Vertrauter im engsten Kreis von Präsident Trump. Und sein Code wäre halt Q gewesen. Und er hat behauptet, er würde, nicht einmal geheime Insider Informationen, sondern nur Hinweise darauf leaken. Die wiederum Beweise sein sollen, dass Trump kein rassistischer Lügner ist, sondern ein genialer Held, der gegen einen tiefen Staat kämpft.
Erzählt mir Thomas Laschyk. Er ist Gründer, des Onlineblogs „Volksverpetzer“ und macht es sich zur Aufgabe, Fake News und Verschwörungstheorien mit Fakten zu widerlegen.
Thomas Laschyk:
Es gibt viele einzelne Behauptungen, viele Unterstellungen hinter diesem Mythos. Pädophile Politiker, Hollywoodstars, die Kinder entführen sollen. Aber im Grunde genommen geht das alles nur daraufhin zurück, dass ein anonymer, unbekannter Typ auf einem Onlineforum irgendwelche Dinge behauptet, die dutzendfach schon widerlegt worden sind.
Ich recherchiere weiter. Die Anhänger von Q, die sich Anons nennen, verbreiten online Verschwörungstheorien wie:
Es gebe einen „Deep State“. Einen sogenannten „Staat im Staate“ oder auch eine „Schattenregierung“. Eine Gruppierung von mächtigen Menschen, die versuche, die ganze Welt zu kontrollieren. Dass diese Schattenregierung eine neue Weltordnung zum Ziel hätte. Dass sie den Coronavirus erfunden hätte, um Menschen daheim einzusperren. Dass sie 5G-Netzwerke installiere, die Menschen krank machen und Covid-19 verursachen. Was im Übrigen scheinbar keinen Widerspruch zu der Erkenntnis darstelle, dass der Coronavirus erfunden sei. Dass sie Menschen zwangsimpfen und Chips einsetzen wollen, um sie zu kontrollieren.
Dass Bill Gates ein führendes Mitglied dieser Gruppierung sei. Und dass Donald Trump all dies verhindern wolle.
Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien?
Die Psychologie einfacher Feindbilder
Mein Kopf platzt. Warum würde irgendjemand das alles wirklich glauben?
Thomas Laschyk:
Weil sie einfache Erklärungen für die Probleme der Welt liefern. Diese Menschen wissen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die mit vielen Missständen zu kämpfen hat. Aber die auch gleichzeitig überfordert sind [sic], mit der Wahrnehmung dieser ganzen Probleme, mit dem ganzen komplexen System in einer globalisierten Welt. Es ist sehr bequem, einfache Feindbilder zu haben. Es ist auch sehr befriedigend, zu glauben, man selbst gehört einem kleinen elitären Kreis an, der die Wahrheit kennt.
Die Rolle von Telegram und Social Media bei der Verbreitung von Fake News
Was Thomas Laschyk sagt macht so schon Sinn, denk ich mir. Aber ich möchte wissen, was jemand dazu sagt, der wirklich daran glaubt. In einer offenen Telegramgruppe von sogenannten „Coronarebellen“ lese ich öfter mal das Wort „QAnon“. Ich schicke eine Nachricht, dass ich gerne mit jemandem sprechen würde, der mir seine Sichtweise erklärt. Ich werde gesperrt.
Doch ein Mitglied der Gruppe schreibt mir privat und sagt, er kläre gerne Menschen auf. Aber er sei Journalisten gegenüber misstrauisch und er möchte sich erst mal ohne Mikro mit mir treffen. Am Montag dann. Bis dahin schicke er mir Quellen, die mir bei der Recherche helfen sollen.
Als ich ihn am Montag frage, ob er sich denn jetzt mit mir treffen wolle, sagt er plötzlich „Nein.“ „Warum denn nicht?“, frage ich.
Er wisse ja nicht, ob ich nicht vielleicht ein Mitglied der Antifa sei. Ich habe keine Ahnung, wie er darauf kommt.
Ich fühle mich… ernüchtert. Nach allem, was ich herausgefunden habe, sehe ich mir noch ein mal Xavier Naidoos Video an. Ich schüttele den Kopf und schalte mein Handy aus.
Dieser Beitrag wurde beim „Hört Hört!“-Hörwettbewerb mit dem ersten Preis in der Kategorie „Journalistische Beiträge – 19 bis 26 Jahre“ mit folgender Laudatio ausgezeichnet:
Der Beitrag beginnt genauso wie man selbst auch auf Verschwörungsmythen stößt – im Netz oder auf Social Media.
Schon beim ersten Ton ist man direkt im Geschehen. Ein Sog – denn die Recherche von Alina Repress und ihrem Team ist intensiv. Sie sprechen mit Medienmachern, die sich mit der Entlarvung von Verschwörungsmythen befassen, versuchen selbst mit Menschen zu sprechen, die diesen Erzählungen glauben und analysieren so ein Thema, das aktueller denn je ist.
Der Beitrag ist präzise ohne belehrend zu sein, unterhaltsam ohne Menschen lächerlich zu machen. Wir freuen uns sehr, diese Nachwuchsjournalist*innen auszeichnen zu dürfen. Herzlichen Glückwunsch!