Heute dreht es sich um den Horror. Was macht Horrorfilme so furchteinflößend? Warum bringen uns Jumpscares, dunkle Wälder und schaurige Geschichten um den Schlaf? Unser Redakteur Timo wagt den Selbstversuch: Vom Trauma-Film seiner Jugend bis zu unheimlichen Nächten im Wald – begleitet von Expertenmeinung und überraschenden Erkenntnissen. Taucht mit uns ein in die Psychologie des Horrors und erlebt, wie der Schrecken uns alle packt!
Timo: Ich will echt nicht weitergehen. Es war irgendein Knacken rechts von mir und es hat nicht aufgehört. Irgendwas ist glaub weiter in den Wald reingegangen.
Sprechertext (ST): Es ist 2 Uhr nachts. Ich laufe durch den Wald. Es ist stockdunkel. Warum ich hier bin? Dafür muss ich von vorne anfangen.
Ich muss etwa 14 Jahre alt gewesen sein, als es passierte. Mein bester Freund hatte mich und ein paar Kumpels aus der Schule zu sich zum Übernachten eingeladen. Zunächst taten wir das, was Jungs in dem Alter eben so tun: Blödsinn reden, Playstation spielen, heimlich am Alkohol nippen. Dann sagte Jemand in die Runde: „Hey, hat wer Lust auf nen Horrorfilm?“ Und niemand wollte Nein sagen. Frank Schwab, Professor für Medienpsychologie an der Universität Würzburg, kennt dieses Phänomen nur zu gut:
F. Schwab: Mal gucken, wer als erstes kotzt, der hat verloren. Oder wer hier aus dem Film rausläuft, der ist das Weichei. Das sind so Initiationsriten, so Mutproben, vor allen Dingen von jungen Männern.
ST: Der Film hieß „Mirrors“ und handelte von einem Dämon, der Menschen, die ihr Spiegelbild betrachten, auf brutale Weise umbringt. Ich erinnere mich ganz genau an eine Szene, indem das Monster eine Frau dazu bringt, sich selbst den Kiefer abzureißen. Ab dann weiß ich nicht mehr viel. Ich tat danach nämlich so, als würde ich schlafen, um den Film nicht mehr sehen zu müssen. Doch in Wirklichkeit lag ich eine gefühlte Ewigkeit mit geschlossenen Augen da und hörte den Film einfach nur. Und dass war fast so schlimm, als hätte ich die Bilder dazu gesehen. Danach wollte keiner auf die Toilette gehen, weil dort ein Spiegel hing. Bei mir ging das so weit, dass ich selbst eine Woche später nur auf den Boden schauend das Badezimmer betreten konnte. Von Schlaf ganz zu schweigen: Den bekam ich eine Zeit lang so gut wie gar nicht, und wenn dann nur unruhig.
F. Schab: Bei Sehern, die unerfahren sind, ist das natürlich immer, dass das der Erstkontakt ist. „O Gott, sowas habe ich ja noch nie gesehen, das ist ja schrecklich!“Dann wirkt es vielleicht auch eher nachhaltig und man hat ein Problem damit.
ST: Auch wenn diese Erklärung vom Medienpsychologen Frank Schwab logisch klingt, frage ich mich trotzdem immer noch:
Warum hat es damals so stark auf mich gewirkt? Warum sehen sich Menschen eigentlich freiwillig so etwas an? Wie wirkt dieser Horror eigentlich genau? Diesen Fragen möchte ich auf den Grund gehen. Vielleicht auch nur, um zu beweisen, dass ich gar kein so großer Angsthase bin.
Zunächst forsche ich im Internet, in der Filmlandschaft und in der Literatur. Ich startete bei den Beginnen des Horrors. Genau genommen bei ihm hier:
„Nosferatu“, einer der ersten Filme, die Angst und Schrecken verbreitet haben. Die Geschichte des Films von 1922 ist lose an Bram Stokers Dracula angelehnt, ebenfalls ein Horrorklassiker. Vieles, was heute in Horrorfilmen Angst erzeugt, war in „Nosferatu“ schon dabei, fällt mir auf: Ein übernatürliches Monster mit Ekel erregendem Aussehen und Verhalten. Die Bilder sind dunkel und unheimlich. Viele Menschen sterben, und niemand weiß, warum genau.
Drei Begriffe, die den Horror definieren, laufen mir bei meinen Recherchen immer wieder über den Weg. Da gibt es zum Beispiel den Schrecken, der mit plötzlichen Schockmomenten beim Zuschauer kurz Panik auslöst, wenn beispielsweise das Monster plötzlich vor dem Protagonisten steht. Dagegen steht der Horror für die lang anhaltende Angst vor einer Figur. Wenn zum Beispiel das Monster ganz in der Nähe der unschuldigen Menschen umherstreift. Dann gibt es da noch eine Art: Der „Splatter“-Horror. Das bedeutet Unmengen an Blut, Innereien, abgerissene Gliedmaßen a la „Saw“. Doch anders als die beiden anderen Horror-Elemente erzeugt Splatter eigentlich hauptsächlich Ekel. Klar: Wenn das Monster gerade eine Person ausweidet, ist das weniger angsteinflößend als einfach nur unangenehm.
Ich versuche mich also zu erinnern: Welches dieser Horror-Versatzstücke hat mich damals am meisten erschreckt? Aber ich erinnere mich nicht mehr richtig an Einzelheiten, nur an dieses diffuse Gefühl der Angst. Eigentlich genau das Gefühl, dass ich nachts im Wald die ganze Zeit hatte:
Timo: Mein ganzer Körper wehrt sich glaub gerade. Ich gehe weiter abhängig den Waldweg entlang. So eine sanfte Biegung geht er nach unten. Ich glaub mein Kopf will mir einfach nur sagen, dass meine Fluchtmöglichkeit und mein Auto in einer ganz anderen Richtung liegt und ich dann bergauf rennen müsste.
ST: Am seltsamsten an der ganzen Sache finde ich aber: Seit ein paar Jahren bin ich selbst irgendwie Horror-Fan. Nur nicht von Filmen. Mich faszinieren viele Horror-Geschichten in Büchern. Und dort kann teils mehr Angst erzeugt werden als beim Film, sagt Medienpsychologe Frank Schwab.
F. Schwab: Der Vorteil vom Buch ist, dass Bilder und Geräusche und alles nicht da sind und man das selber generiert. Leere Slots fülle ich mit meinen Fantasien. Und wenn die entsprechend fantasievoll und furchtbar sind, ist das Buch für mich ein größerer Horror als jeder Film sein kann.
ST: Besonders fasziniert bin ich von den Geschichten von Stephen King. Der amerikanische Autor ist meiner Meinung nach einer der Großmeister des Horrors. Ich glaube, viele seiner Erzählungen hätte ich als Film niemals angesehen: So etwas wie „Shining“, „Friedhof der Kuscheltiere“ oder natürlich „Es“: Es gehört zu den Dingen, dich ich nicht verstehe: Eine Geschichte über einen Horror-Clown, der seine Opfer bestialisch umbringt, fand ich auf Papier einfach nur faszinierend.
Auszug aus dem Hörbuch von „Es“, gelesen von David Nathan:
„Kannst du den Zirkus riechen, Georgie?“ Und George sah, wie das Gesicht des Clowns sich veränderte. Was er dann sah, war so fürchterlich, dass seine schlimmsten Fantasievorstellungen dagegen nur süße Träume waren. Was er sah, brachte ihn schlagartig um den Verstand. „Sie fliegen!“, kreischte das Etwas im Gully mit kichernder Stimme. „SIE FLIEGEN, GEORGIE! UND DU WIRST HIER UNTEN MIT MIR FLIEGEN! WIR WERDEN ZUSAMMEN FLIEGEN!“ Georges Schulter prallte gegen den zementierten Bordstein. Und Dave Gardener sah nur einen kleinen Jungen in gelbem Regenmantel, der schreiend und zuckend im Rinnstein lag. Das schmutzige Wasser rann ihm über das Gesicht und ließ seine Schreie wie ein Gurgeln klingen. „Alles hier unten fliegt!“, flüsterte die kichernde, böse Stimme. Die leblosen Augen des kleinen Jungen starrten in den weißen Himmel, und während Dave auf die anderen Menschen zutaumelte, die jetzt angerannt kamen, sammelte sich Regen darin.“
ST: Was mir besonders hier aufgefallen ist: Horror funktioniert auch, wenn nicht sogar vor allem, über das Gehör.
F. Schwab: Ein Film erzählt ja nicht nur, indem er etwas abbildet, eine Geschichte, sondern auch indem er inszeniert. Das kann er mit Schnitttechnik, Kamera und so weiter machen, aber auch mit Musik. Und die Musik gibt uns Hinweise darauf, wie etwas emotional zu verstehen ist
ST: Erst jetzt fällt mir auch auf, wie viele Geräusche Angst oder ein unangenehmes Gefühl im Menschen auslösen.
Zum Beispiel solche, deren Ursprung du nicht kennst, wie seltsamer Schrei nachts im Wald.
Timo: Hört ihr das?
ST: Besonders schlimm finde ich aber sogenannte Jumpscares: Geräusche, die plötzlich und mit voller Wucht die Stille durchbrechen. Ein ziemlich plumper Trick, oder? Subtiler ist da schon Filmmusik, die darauf abzielt, langfristig eine bedrohliche Atmosphäre aufrecht zu erhalten. Ein berühmtes Beispiel gefällig? Diese Musik aus Stephen Spielbergs „der weiße Hai“ ist ein Parade-Beispiel für den Horror-Effekt, den Musik im Kopf erzeugen kann. Doch nicht nur in Filmen wird mit solcher Musik Angst und Schrecken erzeugt: Videospiele prägten meine Kindheit wie kaum ein anderes Medium. Doch genau wie ich haben sich Videospiele auch immer mehr verändert. Sie wurden realistischer, offener… und düsterer. Auch hier hat der Horror Einzug gehalten:
Den ersten Berührungspunkt mit Horror-Games hatte ich vor etwa sechs Jahren mit ihm hier: Dem „Slender Man“. Eine große, dunkle Gestalt, die plötzlich hinter dem Spielcharakter auftauchte und den Bildschirm dabei nur noch rauschen ließ. Ich habe es nur ein paar Mal versucht, dem „Slender Man“ zu entkommen, doch das Spiel war für mich fast noch schlimmer als meine erste Horrorfilm-Erfahrung. Obwohl laut Medienpsychologe Frank Schwab der interaktive Horror dem Film-Horror nicht das Wasser reichen kann:
F. Schwab: Im Spiel stehe ich dann ewig in dieser Halle und überlege mir: „Soll ich diesen Flur langgehen?“ Tropft da was von der Decke runter, sag ich: „Nein, ich gehe diesen Flur nicht lang. Damit muss ich gar nicht meine Komfort-Zone verlassen. Also da habe ich natürlich vom Angst-Management mehr Möglichkeiten, es wird gar nicht so schlimm für mich, ich gehe dann, wenn ich es aushalte. Im Film habe ich mangelnde Kontrolle, und Hilflosigkeit und so ist dann auch Teil des Horrors, was ich im Spiel nicht in der gleichen Form haben muss.
ST: Also ist Spiele-Horror jetzt nicht so schlimm wie Film-Horror? Dazu möchte ich einen Versuch starten. Zwei Personen, ein erfahrener Horror-Fan und ein „Angsthase“ sollen nun eine Weile das Spiel „Outlast“ spielen. Darin steuert man einen Investigativen Journalisten, der von merkwürdigen Geschehnissen in einer Irrenanstalt auf dem Land erfährt. Dort angekommen, sieht er, dass das ganze Personal tot ist und die Insassen frei herumlaufen. Wehren kann er sich nicht, dem Spieler bleibt also nur, davonzulaufen und sich zu verstecken. Ob dieser virtuelle Nervenkitzel wirklich auch Angst erzeugen kann? Wir starten mit dem Angsthasen: Nicole hat noch nie freiwillig einen Horror-Film angesehen und kann dem Genre eigentlich auch nichts abgewinnen. Ob sie sich trotzdem ein wenig auf das Spiel freut?
Timo: Ich weiß nicht, ich glaub es ist sogar noch ein bisschen spannender, weil du ja mittendrin bist. Und ich glaub, es wird richtig, richtig schlimm und ich hab jetzt schon Angst.
ST: Ich bleibe im Hintergrund und beobachte Sie dabei, wie sie die ersten Schritte im Spiel machen. Sie entdeckt schließlich einen Weg in das Irrenhaus hinein. Ihr Atem wird schneller, sie wirkt angespannt. Dann kommt der erste Schockmoment. Und ihre Reaktion übertrifft meine Erwartung bei weitem: Nicole ist plötzlich völlig panisch. Sie lässt die Spielfigur wild durch das Haus rennen, ohne dass ein Gegner in der Nähe wäre. Ihre Angst ist ihr deutlich anzumerken. Schließlich erlöse ich sie vom Spiel. Aber war es denn wirklich so schlimm?
Timo: Ich versteh das nicht. Das ist ein Bildschirm. Warum macht das so viel Angst?
ST: Der Horror hat bei ihr also voll angeschlagen. Ob das Spiel bei einem Horror-Fan dieselbe Wirkung entfaltet? Yannick hat seinen ersten Horrorfilm mit dreizehn Jahren gesehen und ist dementsprechend gelassen, was den Horror im Spiel angeht:
Yannick: Ich denke, es ist schon ein bisschen anders als Horrorfilme zu schauen, weil man sich halt so richtig konzentriert auf das Spiel und man halt wirklich aktiv was machen muss. Aber ich trotzdem gespannt darauf, wie das Spiel ist. Schauen wir mal, wie es klappt.
ST: Anders als Nicole wirkt er eher neugierig als eingeschüchtert auf das Setting des Spiels.
Yannick: Da schauen wir gleich mal rein oder?
ST: Bislang hat er Spaß bei der Erkundung des Irrenhauses, dann kommt der erste Schreckmoment:
Yannick:O Scheiße. (Lachen)
ST: Seine Reaktion ist völlig anders als die von Nicole. Ihn ängstigen die plötzlich von der Decke herabfallende Leiche oder die widerwärtigen Gegner nicht. Er lacht darüber. Und spielt munter immer weiter. Was zieht er nun für ein Fazit? Schlimmer oder besser als gedacht?
Yannick: Also ich muss sagen: Besser. Ich habe es mir fast schlimmer vorgestellt. Also wirklich schlimm war es jetzt für mich nicht.
ST: Doch woher kommt dieser krasse Unterschied? Wird man als Horror-Hasser oder Horror-Fan geboren? Medienpsychologe Frank Schwab hat auch darauf eine Antwort.
F. Schwab: Es gibt so sensation-Seeking-Leute, die kann man mit einer Skala messen und da schlagen die mehr oder weniger darauf aus und die haben auch so eine Präferenz für solche Horror-Aspekte. Das hat einen erblichen Anteil, der in etwa so bei 30 Prozent liegt, also gibt es auch so genetische Dispositionen.
ST: Also bin ich anscheinend kein „Sensation Seeker“.Trotzdem möchte ich jetzt die Wirkung von Angst am eigenen Leib erfahren. Und dazu beschloss ich eben, nachts alleine in den Wald zu fahren: Etwa eine Stunde war ich unterwegs, zuckte bei jedem Knacken eines Astes oder Geraschel im Gebüsch zusammen. Also wenn das Sensation Seeking sein soll, bin ich eindeutig der Falsche für diese Sache.
Timo: Endlich zurück an meinem Auto. Es wäre bestimmt noch gegangen, aber es ist wirklich unangenehm, und ich bin froh, wenn ich es nicht noch einmal machen muss! Wirklich.
ST: Jetzt, wo ich dem Horror für einige Zeit auf den Zahn gefühlt habe, oder besser er mir, bin ich bereit für meine letzte Prüfung:
Meinen „Trauma-Film“, den Horrorstreifen „Mirrors“, will ich mir jetzt nochmals ansehen. Allein. Im Dunkeln. Allerdings weiß ich jetzt um die Wirkungsweisen des Horrors. Zumindest theoretisch.
Timo: Also ich sitze jetzt vor dem Fernseher und habe den Film jetzt da. Ich muss ehrlich sagen, ich habe überhaupt keine Lust darauf. Ja, wird interessant.
ST: Das wurde es auch wirklich. Anders als damals lenkte ich mich nun mit der Analyse der Szenen ab.
Timo: Lass mich nicht raten, worauf das hinausläuft. Gut, sein Spiegelbild bewegt sich nicht. Ah okay, er schneidet sich den Hals auf mit dem… Ah, es ist schön rot…Ja, passiert. Er ist tot.
ST: Doch ganz ehrlich: Anders als damals blieb die anhaltende Angst aus. Kritisch wurde es nur an der einer Stelle:
Timo: Es ist soweit. Sie steht vor dem Spiegel und… das Spiegelbild bewegt sich nicht mit ihr. Och Gott! Ich weiß jetzt nicht, ob ich hinschauen soll oder nicht.
ST: Ich hätte besser nicht hinsehen sollen: Die Kiefer-Abreiss-Szene schlug mir wieder schwer auf den Magen.
Timo: Ne danke, brauch ich nicht unbedingt. Ist das ekelhaft! Gott! Sowas brauch ich mir nicht anzuschauen! Lecker.
ST: Die Szene war jedoch die Schlimmste im ganzen Film. Den Rest überstand ich ohne Probleme, hatte teilweise sogar Spaß dabei. Die Frage war nur:
Konnte ich nachts denn noch schlafen?
Timo: Ich hab eigentlich relativ gut geschlafen, es hat mich nicht mehr so arg erwischt wie damals. Spiegel waren eigentlich auch kein Problem, gestern Abend und heute. Vielleicht wird das ja mein Startschuss für eine neue Horror-Karriere.“
ST: Na ja, doch wohl eher nicht. Zeit für was anderes als Horror. Wie wär’s denn mit einer Folge „Sherlock“? Obwohl… Dieser verdammte Horror ist aber auch wirklich überall.