Interview mit Christoph Schmid (SPD)

Unsere Autorin Nadine spricht mit dem Bundestagsabgeordneten Christoph Schmid (SPD) über die aktuelle sicherheitspolitische Lage in Europa, die Rolle der Bundeswehr, die Frage nach einer Rückkehr zur Wehrpflicht – und darüber, wie junge Menschen heute mit dem Thema Frieden umgehen. Ein spannender Einblick in politische Perspektiven in bewegten Zeiten.

Nadine: Herr Schmidt, wie würden Sie die aktuelle sicherheitspolitische Lage Europas bewerten, insbesondere den Hinblick auf Frieden und auf den Ukraine-Krieg?

Christoph Schmid: ”Na ja, wir leben tatsächlich in bedrohlichen Zeiten. Wir sind zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren, Jahrzehnten wieder einer externen Bedrohung ausgesetzt. Das hat schon jetzt begonnen mit hybriden Angriffen und wir müssen uns darauf vorbereiten, dass tatsächlich Russland vielleicht irgendwann mal auch mehr als nur die Ukraine angreifen möchte.“

Nadine: Wäre Deutschland Stand jetzt in der Lage, sich zu verteidigen?

Christoph Schmid : “Also glücklicherweise muss sich Deutschland nicht allein verteidigen. Wir sind zum Glück in der NATO und ich zähle auch darauf, dass die NATO weiterhin Bestand hat, trotz Donald Trump.
Und deswegen muss man das immer als Landes- und Bündnisverteidigung betrachten. Und ich glaube tatsächlich, die größte Herausforderung Deutschlands ist gar nicht, das eigene Territorium zu verteidigen, sondern die größte Herausforderung liegt darin, im Bündnis auch die litauische Grenze zu verteidigen. Und das weiß die Bundeswehr, das weiß die Politik, aber ob das in unserer Bevölkerung schon so angekommen ist, das wage ich ehrlich gesagt zu bezweifeln.”

Nadine: Die Bundeswehr spielt ja da eine ganz große Rolle, was macht denn die Bundeswehr für den Frieden?

Christoph Schmid: „Die Soldatinnen und Soldaten sind letztendlich bereit, mit Leib und Leben für unser Land, für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung zu garantieren. Und ich glaube, diesen Beitrag kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Und deswegen ist es auch so wichtig, dass man ihr Respekt zollt der Bundeswehr, dass man sie aber auch vernünftig ausstattet. “

Nadine: Ist die Bundeswehr Stand jetzt genügend oder fehlen noch einige junge Nachkommen in den Reihen?

Christoph Schmid: “Stand jetzt fehlen etwas mehr als 20.000. Ich gehe davon aus, dass wir nach den neuen NATO Anforderungen mindestens noch mal 50.000 Soldatinnen und Soldaten mehr brauchen würden. Das heißt, die Bundeswehr muss tatsächlich größer werden, das heißt, die aktive Truppe muss größer werden. Ich bezweifle aber, dass sie so groß werden muss, wie es im Kalten Krieg war. Weil wir brauchen vor allem Spezialistinnen und Spezialisten. Das heißt, wir brauchen einen Aufwuchs, aber auch keine Massenarmee, wie wir das in Nordkorea oder in China sehen.”

Nadine: Es wurde vor den Koalitionsgesprächen ganz viel über die Wehrpflicht geredet. Im Endeffekt steht es nicht im Koalitionsvertrag. Wurde das Problem einfach in die Zukunft verschoben?

Christoph Schmid: “Nein, das sehe ich nicht so, Ich glaube tatsächlich, dass das, was im Koalitionsvertrag jetzt drinsteht, ist, genau das, was Boris Pistorius vorher vorhatte. Nämlich ein Wehrdienst-Modell, also unterscheiden zwischen Wehrdienst und Wehrpflicht. Ein Wehrdienst-Modell einzuführen, das eine verpflichtende Komponente hat, in dem der Fragebogen von jungen Männern zurückgeschickt werden muss. Und dann melden sich die jungen Menschen in ihrer Selbsteinschätzung, ob sie es leisten könnten und ob sie es leisten wollen.
Und nur dann, wenn sie beide Fragen positiv beantworten, dann kommen sie überhaupt in die engere Auswahl. Und aufgrund vieler, vieler Umfragen wissen wir, dass wir dafür ausreichend junge Menschen dann tatsächlich auch gewinnen können. Zumindest so viele, wie wir auch tatsächlich ausbilden können, weil wir die Kapazitäten ja gar nicht haben.”

Nadine: Kapazitäten ist ein ganz großes Stichwort in dem Ganzen. Also unsere Hochschule ist eine ehemalige Kaserne. Wie sieht es denn da aus? Haben wir überhaupt die Kapazitäten, das komplett durchzusetzen? 

Christoph Schmid: “Also ich glaube nicht, dass der größte Fehler der Vergangenheit war, dass wir Kasernen aufgegeben haben, sondern der größte Fehler war, dass wir tatsächlich die Wehrverwaltung abgeschafft haben. Das heißt, wir wissen gar nicht mehr, wer mal gedient hat und wer als Reservist vielleicht zur Verfügung stehen würde, wenn sich derjenige oder diejenige nicht freiwillig meldet.
Das, glaube ich, halte ich für eine deutlich größeren Fehler, als die Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Und deswegen kann man da über das eine oder andere Versäumnis sprechen. Aber ich glaube, mit den bestehenden Liegenschaften, mit einem Aufwuchs und einer Sanierung kann man auch zumindest gut arbeiten.”

Nadine: Sehen Sie Zukunft im Verteidigungs- und Wehrbereich?

Christoph Schmid: “Na, ich sehe schon eine ernsthaftere Auseinandersetzung, auch bei Besuchen in Schulen mit dem, was uns Frieden und Freiheit wert sind. Jetzt habe ich selber 1995 meinen Wehrdienst verweigert als junger Mensch und werde ganz oft von Soldatinnen und Soldaten natürlich gefragt, wie ich mich heute entscheiden würde und kann die Frage aber auch nicht ehrlich beantworten. Die müsste ich ja meinem 19-jährigen Ich stellen. Finde nach wie vor, dass ich mich damals, 1995, richtig entschieden habe für den Zivildienst im Krankenhaus. Der fast 50-jährige Christoph Schmidt würde sich heute, jetzt in dieser Situation anders entscheiden. Aber ich sehe da eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung bei jungen Menschen mit dieser Thematik, deswegen habe ich da großes Vertrauen in die Jugend.“