Klima-Chaos auf dem FAU Campus

Stell dir vor, du sollst mit 50 Kolleginnen Klima-Aktivistinnen aus einer Uni räumen – und dann ist fast keiner da. So ging es der Nürnberger Polizei letzten Montag. Wie es dazu kam? Ein Beitrag von Finn Sanders

Montag, 15 Uhr, FAU Campus Regensburger Straße, Nürnberg. Ein großes Banner weht über dem Eingang: „Sauer auf fossilen Irrsinn, alles Vergesellschaften“ steht darauf. Auf Sofas im Foyer sitzen etwa 20 Personen – eine bunte Mischung aus Studierenden der FAU und anderen Unis sowie Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe „EndFossil“. Sie unterhalten sich, essen Plätzchen, trinken Punsch. Zwei Studierende, die anonym bleiben möchten, erklären:

Studierende 1

„Hier findet gerade ein Bildungsangebot zum Thema Klima und Nachhaltigkeit statt. Wir wollen mehr für die Klimakrise machen, wir wollen gemeinsam aufstehen und wirklich Orte der Bildung dafür nutzen, um für unsere Zukunft einzustehen.

Studierender 2

„Wir wollten einen Gang uns nehmen und dort Leute einladen, mit uns ins Gespräch zu kommen und Vorträge zu hören“

Die Studierenden haben Vorträge vorbereitet, Menschen eingeladen, die übers Klima sprechen wollten, Workshops organisiert. Ihnen ist es wichtig zu betonen, dass sie den Lehrbetrieb der Uni nicht aktiv stören wollen. Ein friedlicher Protest. Doch Anatoli Rakhkochkine, Prodekan an der Philosophischen Fakultät der FAU sieht das anders: In einer Mail an Studierende und Mitarbeitende des Campus schreibt er:

„aus Sicherheitsgründen müssen heute alle Veranstaltungen am Campus Regensburger Straße nach 17:15 ausfallen bzw. auf online umgestellt werden. Sie werden ferner gebeten, die Gebäude nach 17:30 zu verlassen. Wir bitten Sie um Verständnis“

Auszug aus E-Mail von Anatoli Rakhkochkine

Studierender 2

Sehr zu unserer großen Enttäuschung kam der Dekan heute Mittag und hat uns aufgefordert zu gehen und droht jetzt mit einer Räumung, die um 18:00 stattfinden soll.

Konkret bedeutet das, dass die Polizei kommt, und das Gebäude durchsucht nach Menschen, die hier noch anwesend sind, und jede:r der / die hier noch anwesend ist, wird wahrscheinlich in Gewahrsam genommen.

Vor allem, wenn man betrachtet, dass wir hier wirklich versucht haben, keinen Lehrbetrieb zu stören, sondern wirklich nur anwesend waren, wundert uns das schon sehr. Diese krasse Maßnahme hier.

In Gewahrsam genommen werden – ein Risiko, dass sich viele der Anwesenden nicht leisten können.

Studierende 1

Die meisten hier studieren Lehramt, also eigentlich alle. Und wenn was im erweiterten Führungszeugnis steht, wie zum Beispiel Hausfriedensbruch, dann darf man nicht verbeamtet werden. Und das ist ein sehr großes Problem für die Studierenden hier.

Studierender 2

Es wird gerade noch verhandelt, was wir konkret jetzt machen, im Fall einer Räumung. Aber generell sieht es eher so aus, als würden wir uns nicht räumen lassen, sondern davor das Gebäude verlassen oder in einen Raum zurückziehen, der der Hochschule nicht gehört.

Ratlosigkeit und Unklarheit unter den Studierenden, Aktivistinnen und Aktivisten. Kommt die Polizei, kommt sie nicht? Lässt der Prodekan das Gebäude räumen? Und wenn ja – warum? Wie soll es weitergehen? Beinahe fieberhaft diskutieren sie, spielen mögliche Szenarien durch.

Kurz vor fünf steht dann die Entscheidung: Die Aktivistinnen und Aktivisten wollen so lange bleiben, bis die Leitung der Hochschule sie bittet zu gehen. Dann soll es eine Spontandemo vor der FAU geben. Auf Signal, Telegram und WhatsApp rufen die Aktivisten dazu auf, sie zu unterstützen. Die Enttäuschung darüber, dass sie wahrscheinlich gehen müssen, sitzt trotzdem tief:

Studierende 1

Ist natürlich sehr schade, weil wir echt ein ganz großes Spektrum an Menschen eingeladen haben, die auch sehr interessante Dinge gesagt hätten. Also sowohl aus der Politik als auch aus eigenen Vereinen oder einfach Personen, die Lust hatten, über ein bestimmtes Thema zu reden. Aber ich glaube, dass eine Kundgebung jetzt vor allem sehr viel Aufmerksamkeit schafft. Und vielleicht ist es genau das, was wir jetzt brauchen, um Leute zu mobilisieren.

Ein Plan, der aufzugehen scheint – nach und nach trudeln die ersten Demonstrantinnen und Demonstranten ein:

Demonstrierender 1

Ich bin heute hier, weil ich gehört habe, dass hier eine Räumung ansteht. Oder zumindest, dass hier irgendwie die Verantwortlichen das nicht dulden. Und das finde ich nicht okay. Also für mich hat es nichts mit freier Lehre zu tun, hier die Leute rauszuschicken, die Vorträge machen wollen und was verändern wollen.

Trotzdem: Die Situation bleibt unklar. Die Studierenden und Aktivistinnen und Aktivisten wissen noch immer nicht, wie es an diesem Abend weitergehen wird.

Studierender 2

Wir studieren hier ja, wir dürfen hier eigentlich sein.

Und solange sie nicht gehen müssen, machen Sie weiter wie geplant – und beginnen mit dem ersten Vortrag ihrer Bildungsveranstaltung – der schon nach wenigen Sätzen wieder endet:

Anatoli Rakhkochkine

Darf ich hier ganz kurz unterbrechen. Einen schönen guten Tag an alle, die da sind. Ich bin Prodekan für den Standort und weil das Gebäude jetzt abgeschlossen wird, bitte ich Sie, diese Veranstaltung jetzt hier zu beenden. So erstens also, das ist quasi die herzliche Bitte an Sie, dass Sie das Gebäude dann abschließend verlassen.

Prodekan Anatoli Rakhkochkine betont, dass es ihm wichtig sei, über die Anliegen der Studierenden und Akivist:innen zu diskutieren – aber in einem anderen Rahmen – aus Sicherheitsgründen. Er stellt einen „breit angelegten Dialog“ für Anfang 2023 in Aussicht. Die geplanten Aktionen für den nächsten Tag sagt er pauschal ab.

Anatoli Rakhkochkine

Ich weiß um Ihre Anliegen, das können Sie gerne einbringen, auch mit konkreten Vorschlägen, wie Sie sich das vorstellen. Aber im Gesamtgefüge der Universität muss das nicht diskutiert werden. An dieser Stelle nochmal dankeschön und einen schönen Abend.

Aktivistin 1: Also es gab eine Aufforderung zu gehen. Man sollte sich überlegen, wie man damit umgeht.

Aktivist 2: Also deswegen würde ich empfehlen, allen mal herzukommen und beraten, wie wir weiter vorgehen möchten.

Aktivist 4: vorhin wurde dann für den Fall besprochen, dass quasi dann die Lehramtsstudierenden vorne eine Kundgebung machen

Aktivistin 4: Alle Menschen, die kein Risiko eingehen wollen, gehen jetzt, und der Rest überlegt sich einen Aktionskonsens

Die meisten Anwesenden verlassen das Gebäude und versammeln sich draußen – etwa vierzig Menschen stehen mittlerweile dort. Auf der anderen Seite geht eine weitere Gruppe aus der Uni – der Sicherheitsdienst der FAU hat eine Chorprobe abgebrochen. Unter den Chormitgliedern herrscht Unverständnis:

Chormitglied 1

Ja, wir würden mehr oder weniger spontan aus dem Raum geschmissen, obwohl wir eigentlich nur Chorprobe haben. Wir haben Donnerstag Konzert, deshalb wäre das ziemlich wichtig gewesen und das könnte jetzt leider nicht lange stattfinden.

Chormitglied 2

Ich find’ das ganze sehr sehr komisch. Also was wir jetzt gehört haben, ist ja nichts, was irgendwie erstens aufgelöst werden müsste, zweitens mit der Polizei aufgelöst werden müsste.

Drittens: Dass dafür die ganze Uni abgesagt wird, ist irgendwie ein bisschen sehr überdramatisiert und zeugt für mich irgendwie von wenig Kooperationswillen und auch Willen irgendwie den Leuten zuzuhören, was ich sehr sehr schade finde für die Uni.

17 Uhr 30 – die ersten Mannschaftswagen der Polizei kommen an der Uni an. Etwa 50 Beamtinnen und Beamte – unter anderem auch vom USK – sollen dafür sorgen, dass die Aktivisten das Gebäude zu verlassen.

Nur – da ist fast niemand mehr. Lediglich eine Handvoll Menschen sitzt noch auf den Sofas im Eingangsbereich. Trotzdem – die Beamtinnen und Beamten umstellen das Gebäude und sichern die Eingänge ab.

Nur wenige Minuten später kommen die verbleibenden Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Gebäude – freiwillig, wie auch die Pressestelle der Polizei angibt. Es sei kein Eingreifen nötig gewesen.

Studierende 1

Ein paar Studierende haben sich dazu entschlossen, im Gebäude drin zu bleiben, da wir es nicht eingesehen haben, dass wir rausgeschmissen werden, während andere Hochschulen das ohne jegliche Bedenken erlaubt haben.

Und die Polizei ist dann reingekommen, haben uns erst mal komplett ignoriert, sind auf uns zugekommen und meinten, dass wir das Gebäude verlassen müssen. Und dann wollten wir uns nicht von denen heraustragen lassen. Und dann sind wir mit denen hinausgegangen.

Während des Polizeieinsatzes haben andere Protestierende eine Spontankundgebung bei der Polizei angemeldet. Jetzt stehen sie gegenüber des Haupteingangs der Philosophischen Fakultät – der noch immer von Polizisten versperrt wird.

Sprechchor der Demonstrierenden

„Wir wollen nachhaltige Bildung“ 

Studierende 1

Also die größte Forderung ist immer noch, dass Klimakrise mit in Bildung aufgenommen wird. Also wir sind hier immer noch einmal im Campus, der lehrende Person ausbildet und muss Teil der Bildung sein. Das ist auch die größte Forderung.

Eine Woche später: Der Protest und die Veranstaltungen der Aktivistinnen und Aktivisten konnte am Mittwoch und Donnerstag tagsüber mit Genehmigung der Uni fortgesetzt werden – dazu wurde auch ein Hörsaal zu Verfügung gestellt.

Bärbel Kopp, Vizepräsidentin der FAU betonte in einer Mail an die Studierenden und Mitarbeiter, dass der FAU „ein Diskurs über die Folgen des Klimawandels und möglicher Gegenstrategien am Herzen“ liege.

Außerdem schreibt sie „Ihren Studierenden will die FAU an dieser Stelle ganz klar das Vertrauen schenken, dass das Programm vor Ort ohne Störung und Sicherheitsrisiken ablaufen wird.“ Sowohl die Leitung der FAU als auch die Aktivistinnen und Aktivisten sprachen von Problemen in der gemeinsamen Kommunikation, die im Gespräch beseitigt werden konnten.