Rund 8.500 Menschen warten in Deutschland auf ein lebensrettendes Spenderorgan – viele vergeblich. Warum ist das so? Und wie funktioniert Organspende eigentlich genau? Unser Reporter Philipp beleuchtet das komplexe Thema und hat dafür mit Medizinern und einem Organspendeempfänger gesprochen.
Philipp: Jeden Tag sterben Menschen, weil sie kein passendes Spenderorgan finden. Die Entscheidung zur Organspende kann Leben retten – und doch bleibt sie für viele eine unbequeme Frage. In Deutschland warten nach aktuellen Zahlen rund 8.500 Menschen auf ein passendes Spenderorgan – Tendenz steigend. In Bayern sind es knapp 1.200 Menschen.
Aber was genau ist eine Organspende und wie läuft sie ab?
Bei einer Organtransplantation werden funktionstüchtige Organe auf einen schwer kranken oder gesundheitlich beeinträchtigten Menschen übertragen. Ziel dieser Organübertragung ist es, die fehlende Funktion der eigenen Organe zu ersetzen. Es wird zwischen Lebendorganspenden und postmortalen Organspenden, also Organspenden nach dem Tod, unterschieden.
Voraussetzung in Deutschland: Die Hirntod-Diagnose
Die Voraussetzungen regelt das sogenannte Transplantationsgesetz. In Deutschland ist eine dieser Voraussetzungen der unumkehrbare Hirntod. William Laqua ist Facharzt für Innere Medizin am Uniklinikum Erlangen.
W. Laqua: Um das sicher zu diagnostizieren, gibt es sehr strenge Kriterien, die unter anderem beinhalten, dass eben zwei verschiedene Ärzte unabhängig voneinander Untersuchungen an Patienten machen, um eben festzustellen, dass das Gehirn sowohl von seiner Großhirnfunktion nicht funktioniert, als auch von Kleinhirnfunktion nicht funktioniert. Das heißt, es handelt sich um Patienten, die liegen dann immer auf Intensivstationen, sind immer beatmet. Man guckt zum Beispiel, was passiert, wenn ich die Beatmungsmaschine umstelle oder ausschalte. Es wird sehr gründlich geschaut, dass wirklich ein vollständiger Verlust der Gehirnfunktion vorliegt, was ja auch nach unserer aktuellen Definition eigentlich das ist, was uns als Mensch ausmacht. Das Gehirn ist ja das, wo wir empfinden, Gedanken setzen und wenn das eben ausfällt, ist es eben gleichzusetzen mit dem Tod eines Menschen, auch wenn seine Organe in dem Moment noch funktionieren.
Philipp: In anderen europäischen Ländern, wie etwa England, Frankreich oder Spanien, reicht bereits der Herz-Kreislauf-Stillstand als Voraussetzung für die Organspende aus. Die FDP wollte im Oktober 2024, dass der Herz-Kreislauf-Stillstand auch in Deutschland genügt..
W. Laqua: Es ist halt eine philosophische, moralische, komplexe Fragestellung tatsächlich, ob man sagt, der Patient hat eine keine Kreislauffunktion, ist das gleichwertig hochzusetzen mit dem Hirntod? In Deutschland ist der Hirntod quasi der höhere Standard und ist das Maß aller Dinge, was eben Sicherheit angeht. Die andere Methode ist sicherlich nicht schlechter.
Entscheidungslösung vs. Widerspruchslösung:
Philipp: In Europa ist die sogenannte Widerspruchslösung weit verbreitet. Wenn eine verstorbene Person zu Lebzeiten nicht ausdrücklich einer Organspende widersprochen hat – etwa durch einen Eintrag im Widerspruchsregister –, dürfen ihre Organe für eine Transplantation entnommen werden.
In Deutschland gilt die Entscheidungslösung. Sie besagt, dass Organe und Gewebe nur dann entnommen werden dürfen, wenn Spender und Spenderinnen zu Lebzeiten eingewilligt haben – etwa mit einem Organspendeausweis. William Laqua steht einer Widerspruchsregelung offen gegenüber.
W. Laqua: Ich persönlich denke, es wäre sinnvoll, weil eben ein großer Punkt, warum wir nicht so viele Organspenden in Deutschland haben, ist, dass Leute sich nicht damit auseinandersetzen. Studien zeigen, dass die Bereitschaft für eine Organspende sehr hoch ist in der Bevölkerung. Nur ist jetzt eben die Gesetzgebung so, dass wenn man sich nicht dazu äußert im Leben, dass die Entscheidung oftmals jemand anders treffen muss. In dem Fall eben die Kinder, die Eltern und die kommen oftmals in diese missliche Lage, dass sie für jemanden entscheiden müssen in einer Situation, die eh schon dramatisch für sie genug ist, also nämlich das Versterben einer sehr naheliegenden Personen, dass sie dann entscheiden müssen, ob noch Organe genommen werden. Mit der Widerspruchslösung hätte man etwas mehr Sicherheit bezüglich. Man könnte sagen, die Person hat sich nicht bewusst dagegen entschieden, deshalb kann man von ausgehen, dass sie vermutlich dafür sein würde, man könnte damit auch die Angehörigen entlasten.
Philipp: Deutschland zählt in Europa zu den Ländern, in denen am wenigsten Organe gespendet werden. Um das zu ändern, wurde ein Organspende-Register eingeführt: Es bietet eine digitale Möglichkeit, die Entscheidung rechtlich verbindlich zu dokumentieren. Seit der Einführung im März 2024 haben sich gut 310.000 Menschen registriert.
Lebendspende: Nieren und Leber
Neben der postmortalen Organspende gibt es auch die Lebendorganspende. Derzeit werden in Deutschland vor allem Nieren und Teile der Leber von lebenden Spenderinnen und Spendern auf Empfängerinnen und Empfänger übertragen. Das Transplantationsgesetz sieht hier aber strenge Vorgaben vor. Der Spenderschutz steht im Vordergrund. Der Spender muss mit dem Empfänger verwandt sein oder ihm in besonderer persönlicher Verbundenheit nahestehen. Marc Ulbricht aus Bamberg bekam von seiner Frau eine Niere. Bevor er die Niere bekam, war das Leben für Ulbricht nicht mehr lebenswert.
Ulbricht: Körperlich war ich ein Wrack. Also, es ging gar nichts mehr. Ich war müde, schlapp, antriebslos. Und man es eigentlich vom Leben her gar nicht gewohnt ist, weil ich war wirklich Workaholiker, immer doppelt gearbeitet, nie Probleme gehabt. Und wenn man dann wirklich bei 200 auf der Autobahn die Felgen weggerissen wird und man eine Notbremsung hinlegen muss, weil es einfach nicht mehr geht und sich bei der kleinsten körperlichen Anstrengung erschlafft, müde, fertig fühlt, das ist kein Zustand.
Philipp: Die Dankbarkeit, die Ulbricht für seine Frau empfindet, kann er nicht in Worte fassen. Zum Zeitpunkt des Gesprächs war die Operation erst eine Woche her. Die Auswirkungen waren aber immens.
Ulbricht: Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Also ich fühle mich voller Saft und Kraft auf Deutsch gesagt Ich könnte Bäume ausreißen, ich könnte wieder loslegen.
Philipp: Ein neues Organ kann viel bewirken. Es lohnt sich, sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen. Dazu gibt es viele Möglichkeiten: ob bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, online unter www.organspende-info.de oder auch beim Hausarzt. Den Organspendeausweis kann man übrigens auch kostenlos online beantragen und nach Hause schicken lassen.