Reportage: Bezahlkartentausch

Ein Handy kaufen, im Restaurant essen, eine Busfahrt bezahlen – für die meisten Menschen alltäglich. Doch für Geflüchtete in Nürnberg oft unmöglich, denn sie kriegen ihr Geld auf eine Bezahlkarte, die nicht überall gültig ist und mit der sie nur 50 Euro Bargeld pro Monat abheben können. Die Initiative gegen die Bezahlkarte setzt sich für die Betroffenen ein und zeigt, wie Solidarität im Alltag aussehen kann. Unsere Autorin Malina hat sich genauer mit dem Thema beschäftigt.

Freistehende Atmo: Menschen warten im Raum, unterhalten sich

Malina: In einem großen Saal im Desi-Stadtteilzentrum in Nürnberg sind diesen Montag schon vor der offiziellen Öffnung um die HundertMenschen. Ein paar sitzen auf Stühlen, die meisten stehen aber schon dicht gedrängt an der Türe zum Nebenraum und warten, dass es losgeht. Alle haben das gleiche Ziel: Bargeld zu bekommen. Denn mit ihrer Bezahlkarte kommen sie  im Alltag oft nicht weiter, weil sich damit nicht alles kaufen lässt. Nicht alle Läden akzeptieren die Karte und sie ist nur im erlaubten Aufenthaltsbereich gültig, so schildern es Djaram und Anastasia:

Djaram: Ich war einmal in den Laden gegangen. Ich möchte Handy kaufen. Aber er hat gesagt, diese Karte funktioniert nicht in diesem Laden.

Anastasia: Wir können nur in Nürnberg. Mein Vater muss in Ansbach alle drei Monate eine Kontrolle machen. Und er kann nicht dort etwas kaufen zum Essen oder sowas.

Melina: Seit Juni gibt es in Nürnberg die Bezahlkarte für Menschen, die Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen. Betroffene erhalten das Geld seitdem nicht mehr einfach auf ein Konto oder in Bar, sondern auf die Bezahlkarte. Das ist im Grunde einfach eine Mastercard. Doch es gibt einige Situationen, in denen die Menschen mit der Karte nicht bezahlen können. Außerdem kann jede Person pro Monat nur 50 Euro Bargeld abheben. Ein Problem, wie Akim und Anastasia erklären:

Akim: For example there are some markets, like arabish market, where you cannot use the card.

Anastasia: Wir sollen in der Schule Geld abgeben. Bar, das kann ich nicht mit Bezahlkarte.

Malina: In Nürnberg gibt es Freiwillige, die diese Einschränkungen nicht hinnehmen wollen. Sie organisieren sich in der Initiative gegen die Bezahlkarte. Jeden Montag von 17 bis 19 Uhr veranstaltet die Initiative in der Desi einen Tausch: Menschen mit Bezahlkarte kaufen in Supermärkten oder Drogeriemärkten einen Gutschein über 50 Euro und können den dann gegen Bargeld tauschen. Lena von der Initiative erklärt, warum sie den Tausch organisieren:

Lena: Wo ist das Integration, wenn Kinder nicht mit zu den Schulausflügen können, wenn ich das Büchergeld nicht bezahlen kann, wenn ich mich irgendwie für meine Überweisung für den Sportverein drei, vier Stunden lang im Amt an irgendeiner Schlange einreihen muss. Ja, also man macht es den Leuten unendlich schwierig und wir halten das für eine menschenfeindliche Politik und deswegen wollen wir da was gegen machen.

Malina: Mittlerweile ist es 17 Uhr, der Tausch beginnt offiziell. Die Menschen mit den Gutscheinen haben Nummern bekommen. Sie werden nach und nach in den Nebenraum gerufen. Dort sitzen rund 8 Freiwillige. Alle haben einen Laptop und eine Kasse vor sich.

Atmo wie im Nebenraum die Menschen aufgerufen werden:

O-Ton: Dieter, kannst du jemanden schicken?

Malina: Dort geben sie ihre Gutscheine ab und bekommen dafür Bargeld. Dieses Bargeld stammt von Menschen, die den Geflüchteten ihre Solidarität zeigen wollen. Sie stehen vor dem Tauschraum in der Desi in einer Schlange und werden immer abwechselnd mit den Geflüchteten in den Raum gerufen. Sie bringen Bargeld mit und bekommen dafür die Gutscheine. Emma ist eine von ihnen. Sie ist da, weil sie Menschen helfen will, die durch die Bezahlkarte in ihrem Alltag eingeschränkt sind. Emma hat nicht nur 50 Euro für einen eigenen Gutschein dabei:

Emma: Ich sammel Bargeld von Nachbar:innen ein, die was geben möchten, von Freund:innen. Und gehe dann mit der Summe hierher und tausche es ein und verteilts dann wieder im Bekannten- und Freundeskreis

Atmo wie Emma in den Raum gerufen wird:

O-Ton: Dm, Rewe? Dm brauchst du? 7 Stück. 22 insg. Magst du mitkommen und schonmal abhaken und dann darfst du dich so ein bisschen  in der Ecke positionieren.

Malina: Emma läuft in den Tauschraum, in dem die freiwilligen Helfer:innen sitzen. Sie überreicht die Liste, mit den Wünschen, wie viele Gutscheine von welchem Geschäft sie gerne haben würde.

Atmo – Beginn des Tauschs

O-Ton: Das ist echt viel gesammelt hier. 7 Stück.  4, 5, 6, 7, ja. 10 Lidl, aber die glaube ich, die brauchen noch.  Ja, das heißt, wir haben 550. 4, 5, zähl bitte nochmal nach. Und 50.

Malina: Für die 550 Euro Bargeld bekommt Emma auch Gutscheine im Wert von 550 Euro. Es ist ein Tauschgeschäft ohne jegliche Gewinne für sie.

Emma: Ich finde die Bezahlkarte ist eine Schweinerei, deshalb möchte ich was dagegen tun. Und ich finde es einen ziemlich guten Weg, praktisch solidarisch zu sein.

Malina: Solche Tauschaktionen gibt es auch in anderen bayerischen Städten wie Regensburg oder Rosenheim. Ein Dorn im Auge der CSU. Politiker der Partei haben bereits angekündigt, solche Tauschaktion unter Strafe stellen zu wollen. Doch noch ist es legal. So gehen an diesem Abend Emma mit 22 Gutscheinen in der Tasche und Djaram, Akim und Anastasia mit jeweils 50 Euro mehr Bargeld nach Hause – mit dem Plan, auch nächste Woche wiederzukommen.