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Wie fühlt es sich an, undercover in einer Telegram-Gruppe voller Verschwörungstheoretiker zu sein? Sergey hat sich in eine solche Gruppe eingeschleust und erzählt von paranoiden Strukturen, radikalen Weltbildern und prominenten Verschwörungsideologen.
Hallo Sergey, ihr wart also in so einer Telegram-Gruppe. Wie seid ihr da überhaupt reingekommen?
Sergey: Ja, also teilweise kann man die Gruppen über die Telegram-Suche finden. Wir hatten aber Glück, über Kontakte haben wir so einen Einladungslink bekommen, über den wir direkt in so ne Sammelgruppe gekommen sind. Dort gab‘s dann mehrere Links für die einzelnen Regionalgruppen und aus denen konnten wir dann unsere Region aussuchen. In der Ansbacher Gruppe mussten wir uns dann auch noch vorstellen.
Wieso muss man sich denn vorstellen?
Sergey: Naja, ich denke in diesen Gruppen liegt eine gewisse Paranoia in der Luft. Man hat halt Angst infiltriert zu werden. Diese Gruppen sehen sich selbst als „Rebellen“ und den Staat als Feind. Ganz oft fallen da auch Wörter wie Volksverräter oder Lügenpresse.
Wie viele Mitglieder hat die Gruppe denn?
Sergey: Da kommen ständig Leute dazu. Momentan sind es um die 110 Mitglieder in der Ansbacher Gruppe- Tendenz steigend. Die Gruppen sind halt echt stark miteinander vernetzt. Man kommt von einer Gruppe zur nächsten, weil permanent Links, Bilder und Videos aus anderen Gruppen weitergeleitet werden.
Und was sind das für Leute die sich da rumtreiben?
Sergey: Das ist ein bunter Mix aus so ziemlich allem. Querfront nennt sich das. Da gibt es stinknormale Ökos, die sogenannten besorgten Bürger, auch Reichsbürger, Q-Anon Anhänger oder Vertreter der New World Order Theorie. Fast alle sind Impfgegner. Was so ziemlich alle gemeinsam haben, ist dass sie glauben, die Corona-Krise ist wie auch immer inszeniert und die Medien sind ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht die Bevölkerung zu belügen.
Wie kann man sich das vorstellen?
Sergey: Feind Nummer Eins ist der amerikanische Milliardär und Microsoft Gründer Bill Gates mit seiner Bill and Melinda Gates Stiftung. Mit der spendet er Geld für mehrere gemeinnützige Zwecke. In der Gruppe glaubt man aber, dass er mit dieser Stiftung unter anderem die World Health Organisation aufgekauft habe, um die zu beeinflussen. Die Verschwörungstheoretiker glauben, er will so einen Impfstoff entwickeln der entweder zur Bevölkerungsminimierung beitragen und/oder jedem einen Chip verpassen soll.
Wie kommt man denn auf sowas?
Sergey: Ich würde mal behaupten das kommt vor allem durch die ganzen Inhalte die da weitergeleitet werden. Da werden zum Beispiel ständig YouTube-Videos geteilt, auch von sogenannten „Alternativen Medien“. Da redet dann jemand über scheinbare Fakten und stellt die so dar, als ob es sich dabei um die einzige Wahrheit handelt. Die Fakten lassen sich zwar relativ leicht widerlegen, Menschen sehen aber nun mal nur das was sie sehen wollen. Als Beispiel: In der Gruppe glaubt man, dass die WHO zu 80 Prozent von der Gates Stiftung finanziert wird. Tatsächlich sind das aber nur etwa 10 Prozent und die 80 Prozent beziehen sich auf die Gesamtspenden, die die WHO bekommt. Das Problem ist, dass da auch einige sag ich mal „Berühmtheiten“ mit von der Partie sind. Stichwort Xavier Naidoo, Koch Attila Hildmann oder auch Ex-Moderatorin Eva Herrmann. Diese ganzen Verschwörungstheorien haben in Krisenzeiten immer einen großen Reiz und in den Gruppen ist der Boden für solche Theorien sehr, sehr fruchtbar.
Denkst du von solchen Gruppen geht Gefahr aus?
Sergey: Ich denke, dass diese Gruppen definitiv dazu beitragen, dass sich die Menschen hochschaukeln. Durch die massive Informationsflut fällt man halt in so `ne Art Strudel, der einen mitreißt. Durch das bewusste Fernhalten von Informationen und das Verknüpfen von Halbwahrheiten scheint die Argumentation für die Menschen irgendwann sinnvoll. Ich finde, das ist schon ein echt interessanter Effekt, der da auftritt. Die sind da tief in ihrem Film drin. Diese Hygienedemos zum Beispiel nennen sie „Spaziergang“ um sich vor Maßnahmen zu schützen und damit kommen die auch noch durch. Derzeit auch richtig „In“ ist in diesen Gruppen, dass man sich von der Maskenpflicht befreien lässt.
Wie meinst du das?
Sergey: Die gehen zum Arzt und geben vor Platzangst, Atemnot oder ähnliches zu haben. Dann lassen sie sich ein Attest ausstellen, damit sie keine Maske mehr tragen müssen. Damit gefährden sie nicht nur sich selbst sondern auch andere. Und vor allem mit den Reichsbürgern entwickelt sich da noch zusätzlicher Zündstoff. Die Menschen radikalisieren sich.
Fiel es dir schwer, dich trotz der zahlreichen Falschinformationen in der Gruppe zurückzuhalten?
Sergey: Anfangs habe ich mich da echt sehr zurückgehalten und versucht, die Standpunkte wirklich zu verstehen. Irgendwann wurde es mir dann zu bunt und ich habe mich zu Wort gemeldet – schlechte Idee. Seitdem wurde ich bereits mehrmals aus der Gruppe geworfen. Und das nur, weil ich nicht derselben Meinung war, wie die Mehrheit in der Gruppe.
Die Zensur, die sie den Medien vorwerfen betreiben sie also selbst?
Sergey: Oh ja. Alles was nicht ihren Vorstellungen und Wahrheiten entspricht wird komplett ausgeblendet. Oder man versucht die Leute zu bekehren, die anderer Meinung sind. Naja, ich hab‘ mich halt weder bekehren lassen noch entsprach ich ihren Denkmustern.