Schon um 1900 soll sich der erste Mensch mit HIV infiziert haben. Doch sichtbar wurde das Virus erst Jahrzehnte später – als Stars wie Freddie Mercury der Krankheit ein Gesicht gaben. In unserem Beitrag blickt Martin Tröbs gemeinsam mit unserer Autorin Minh Thu zurück auf die Aids-Krise der 80er – und erzählt, was sich seither verändert hat.
Martin: „Die habe ich dann nach drei Monaten abgesetzt und habe beschlossen, dann sterbe ich lieber.“
Minh Thu: Martin Tröbs ist HIV-positiv. Damit hat er nicht gerechnet, als er damals, in der zwölften Klasse, das erste Mal von AIDS hört. Denn Sex ist für ihn, den schwulen jungen Mann, ohnehin ein schwieriges Thema.
Martin: „Ich bin sehr christlich erzogen worden, wo klar war kein Sex vor der Ehe und tja wenn ich keinen Mann heiraten kann, dann werde ich eben nie Sex haben.“
Minh Thu: Vor genau 44 Jahren – am 5. Juni 1981 – veröffentlicht die US-Gesundheitsbehörde einen Bericht über fünf rätselhafte Krankheitsfälle, die scheinbar vor allem junge, homosexuelle Männer trifft.
Zitat (Trailer -Baldiga – Entsichertes Herz ) “Es wird plötzlich geschrieben ‘Die große Schwulenseuche'"
Minh Thu: Unwissenheit trifft auf reißerische Schlagzeilen. „Ansteckungsverdächtige“ wie Schwule, Drogenabhängige und Prostituierte werden ausgegrenzt. Rückblickend sprechen wir von der sogenannten AIDS-Angst. 1983 entdecken Forschende dann das Virus hinter der Krankheit: HIV. Und schnell wird klar: HIV kann jeden treffen.
Martin: „1983 habe ich jemanden kennengelernt, der mir dann erzählt hat, dass es sehr wohl geht Christ sein und schwul zu sein. Zumindest für ihn ging das und er hat mir Mut gemacht, es auch zu probieren.“
Minh Thu: Kurz darauf zieht Martin nach Nürnberg, studiert soziale Arbeit, geht auf Demos, gründet einen schwulen Männerchor und fasst sich ein Herz. Er outet sich mit einem zehnseitigen Brief an seine Eltern.
Martin: „Meine Mutter hat geweint. Der Sohn macht einen schwulen Männerchor und steht in der Zeitung mit Bild und Pfarrerssohn steht drunter. Mein Vater meinte, er kann jetzt nicht mehr auf die Kanzel gehen und predigen, weil dann schämt er sich und was die Leute denn dann von ihm halten würden."
Minh Thu: Doch er bleibt dabei, Martin Tröbs lebt offen und politisch. Er tritt mit seinem Chor bei AIDS-Galas auf – unter anderem mit Größen wie Hella von Sinnen und Dirk Bach. Doch mit Mitte 20 kippt Martins Unbeschwertheit.
Martin: "‘87 habe ich mich dann tatsächlich in jemanden verliebt aus München, der HIV hatte und der dann auch kurz darauf gestorben ist."
Minh Thu: Im selben Jahr startet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ihre Kampagne „Gib Aids keine Chance.“.
Minh Thu: Die Angst wächst mit den Zahlen. Bis 1990 sind weltweit acht Millionen Menschen mit HIV infiziert. Die Rote Schleife entwickelt sich zum Symbol für die Solidarität mit HIV-Infizierten. Besonders bekannt ist sie durch das Gedenkkonzert von Freddie Mercury.
Martin: „Ich hatte Albträume und hatte immer im Kopf ‚Du bist positiv, du bist positiv.‘ Und dann dachte ich mit, ich habe jetzt keinen Bock mehr auf diese wiederkehrenden Alpträume. Ich möchte das jetzt klären“
Minh Thu: Die Diagnose bestätigt: Martin ist HIV-positiv. Er arbeitet weiter bei der Aidshilfe.
Martin: „Mein Chef sagte: ‚Muss das sein?‘ Ich habe also schon sechs Jahre lang Kondome verteilt und allen gesagt wie Safer Sex geht. Habe das aber für mich halt nicht immer hundertprozentig umgesetzt, was ja auch nicht im Arbeitsvertrag stand.“
Minh Thu: Martin will sich nicht verstecken – nicht vor den Kolleg*innen, nicht vor sich selbst. Er kündigt. Und on top setzt Martin auch noch eigenständig seine Medikamente ab.
Martin: Erst mal gab es Pillen mit furchtbaren Nebenwirkungen. Ich habe meine Beerdigung geplant, immer wieder die Musik ausgetauscht im Kopf.
Minh Thu: 1996 dann der Durchbruch: Kombinationstherapien. Mit ihr gelingt es HIV-positive Menschen vor dem Ausbruch von AIDS zu schützen.
Martin: „Und dann traf ich diesen Arzt wieder in der Männer-Disco Erlangen. Und er sagt : ‚Warum kommst du nicht mehr?‘ Und ich sag: ‚Weil ihr da nur so einen Scheiße habt.‘ Ach, warum? Wir haben neue Pillen. Komm doch mal. Wir finden was. Das war wirklich für mich so der Gamechanger, wie man heute auf Neudeutsch sagt."
Minh Thu: Martin ist inzwischen 62 Jahre alt, durch die Medikamente hat er sich gut mit dem Virus engagiert und arbeitet wieder aktiv bei der Aidshilfe Nürnberg.
Martin: „Schau mich an mit HIV kann man alt werden und dick.”
Minh Thu: Martins Geschichte macht Mut. Aber sie ist auch ein Privileg – global gesehen steht aktuell viel auf dem Spiel: US-Präsident Trump hat Anfang des Jahres alle Auslandshilfen für HIV-Projekte gestrichen. Schätzungen zufolge haben dadurch schon über 20.000 Menschen ihr Leben verloren. Noch gibt es keine neuen Geldgeber.
Ob es nochmal so wird wie in den 80ern? Martin glaubt: Wir haben seitdem viel dazugelernt.
Martin: „Die Menschen sind mittlerweile so gut informiert, dass ich nicht mehr Angst habe, dass der Umgang mit Menschen mit HIV ein anderer wird - ein schlimmerer wird. Das glaube ich nicht. ”