Sechs Millionen Deutsche leiden unter Schlafstörungen. Schlafmangel beeinträchtigt nicht nur unsere täglichen Funktionen, sondern erhöht auch das Risiko für schwerwiegende Erkrankungen. Könnte das Steuern unserer Träume die Lösung sein? Unsere Autorin Alina Deutsch hat sich mit dem Thema beschäftigt.
ATMO
Alina: Noch fünf Minuten. Fünf Minuten noch und ich bin richtig ausgeschlafen.
Sprechertext: Das sind Lügen, die ich mir fast jeden Morgen erzähle. Und damit bin ich nicht allein, denn sechs Millionen Deutsche leiden unter Schlafstörungen. Wenn man durchschnittlich viel schläft, hat man mit 20 Jahren schon etwas mehr als acht Jahre seines Lebens mit Schlafen verbracht. Und das ist auch gut so, denn Schlaf ist wichtig. Das sage nicht ich, sondern Wissenschaftler und Schlaftherapeuten.
Aber vor allem Albträume können deinen Schlaf rauben. (SOUNDEFFEKT CREEPY) Stell dir vor: Du bist fünf Jahre alt. Es ist nachts und du liegst in deinem Bett. Gleich kommt ein Monster durch deine Schlafzimmertür. Es möchte dich auffressen. Du weißt das schon, denn dieser Albtraum ist für dich nichts Neues. Er ist für dich Routine. So ging es dem gebürtigen Nürnberger Lucas Krieg. Er erinnert sich noch gut an seine Albtraumserie.
Lucas Krieg: Der Traum hat sich sehr oft wiederholt, immer mit dem gleichen Handlungsmuster. Und ich hab immer nach einem Versteck gesucht, ich wollte mich immer unter der Bettdecke verstecken. Im letzten dieser Träume ist mir eben klar geworden, dass ich die Situation kenn und einschätzen kann und dass ich da jetzt eine eigenständige Entscheidung treffen kann.
Sprechertext: Denn Lucas ist Klarträumer. Das bedeutet, er erkennt im Traum selbst, dass er träumt und kann so den Traum aktiv steuern. Das nennt man luzides Träumen. Diese Träume treten am häufigsten in der sogenannten REM-Phase des Schlafs auf. In dieser Tiefschlafphase sind die Träume sehr lebendig und intensiv. Und so gelingt es ihm, in dieser Nacht Kontrolle über seinen Albtraum zu erlangen und ihm ein Ende zu setzen.
Lucas Krieg: Hey, ich greif’ da jetzt ein und frag das Monster irgendeine ganz irritierende Frage und hoff’, dass es dann dabei vergisst mich aufzufressen. Und so hab ich ganz intuitiv in meiner kindlichen Naivität und Verzweiflung eben in dem Traum dann gefragt, ob‘s mein Kumpel sein will. Und darauf hat’s geantwortet „ja ok“ und so ist aus der Bedrohung ein Freund in diesem Traum geworden, der in dem Moment dann auch von einem Albtraum zu einem nicht mehr so angstgefärbten Traum wurde. Diese Albtraumserie ist damit dann auch verschwunden.
Sprechertext: Seitdem träumt Lucas immer häufiger luzid, ganz ohne Übung. Bis er sich wirklich mit dem Thema auseinandersetzt, vergehen viele Jahre.
Die meisten kennen solche Albträume aus ihrer Kindheit. Aber auch im Erwachsenenalter träumen wir oft die seltsamsten Dinge, die für die Verarbeitung unserer Gedanken und Gefühle sinnvoll sind. Das bedeutet nicht, dass jeder Albtraum per se schlecht oder auf eine psychische Störung zurückzuführen ist. Die österreichische Psychologin und Traumforscherin Brigitte Holzinger zeigt mit ihren Forschungen aber eins: Bei vielen Menschen sind Albträume ein Anzeichen für ein Trauma. Und genau hier kann luzides Träumen als Therapieform eingesetzt werden. Lucas ist kein Psychologe oder Traumforscher. Er spricht hier von seiner persönlichen Erfahrung, die er über mehrere Jahre sammeln kann.
Lucas Krieg: Besonders bei der Albtraumbewältigung ganz effektives Werkzeug. Ich muss, wenn ich jetzt luzides Träumen nicht kann und unter Albträumen leide und mich entscheide ich nehme das luzide Träumen als Werkzeug, um mit meinen Albträumen besser umzugehen, muss ich‘s erst erlernen. Das ist eigentlich die Vorbedingung.
Sprechertext: Luzides Träumen erlernen – klingt erstmal nahezu unmöglich. Nur unter 0,3 % aller Träume sind luzid, obwohl ca. 25 % aller Menschen bereits einen Klartraum hatten.
Lucas Krieg: Die wenigsten Leute haben regelmäßige luzide Träume. Es gibt auf jeden Fall Techniken, Tipps und Kniffe, wie man da nachhelfen kann oder das Ganze dann erzeugen kann.
Sprechertext: Diese Techniken, Tipps und Kniffe, von denen Lucas spricht, werden auch in der Therapie angewendet. Bereits in den 80er Jahren entwickelten die Traumforscher Paul Tholey und Stephen LaBerge verschiedene Methoden, um Luzides Träumen zu erlernen. Dazu zählen die sogenannten Reality Checks. Dabei prüfst du tagsüber deine Umgebung auf Unstimmigkeiten.
Du kannst zum Beispiel die Innenfläche deiner Hand ansehen, kurz wegsehen und wieder drauf schauen. In der Wachwelt bleiben die Linien auf der Handinnenfläche gleich. In der Traumwelt schafft es das Gehirn nicht, die Linien zweimal hintereinander gleich darzustellen. So weißt du sofort, dass du gerade träumst.
Um Luzides Träumen zu erreichen, gibt es viele weitere Methoden, wie die MILD-Methode oder die Wake-back-to-bed-Methode. Zuerst ist aber die richtige Einstellung und der Wille wichtig. Dabei hilft auch ein Traumtagebuch. Dort schreibst oder zeichnest du alles auf, was du im Traum erlebst. Eindrücke, Gefühle, Gespräche, Gerüche. Damit du diese Gewohnheiten mit in die Traumwelt nehmen kannst, braucht es Übung und Geduld. Wie schnell und ob ein Mensch Klarträumer werden kann, ist ganz individuell.
Lucas musste für seinen ersten Klartraum nicht üben, andere brauchen dafür mehrere Wochen. Mit intensivem Training schafft Lucas es sogar in eine Phase, in der er pro Nacht 5-7 luzide Träume hat. Eine Garantie, jede Nacht einen Klartraum zu haben, gibt es jedoch nie.
Lucas Krieg: Der Haken daran ist eben nur, dass man diese zweite Welt nicht dann anknipsen kann, wenn man sie möchte. Man muss durch viel Übung und Talent die Wahrscheinlichkeit, dass ein luzider Traum sich einstellt, soweit erhöhen, dass es halt recht oft passiert und dann kann man damit gut arbeiten. Aber dass das jetzt zu ’ner bestimmten Uhrzeit sicher passieren soll, da muss man sich dann schon auf einem sehr professionellen Niveau bewegen und es kann auch sein, dass da mal ein paar Nächte Flaute sind. Und deswegen ist diese Welt zwar da, aber die öffnet sich nicht immer unter meiner vollen Kontrolle.
Sprechertext: In der Therapie helfen luzide Träume dabei, traumatische Erlebnisse zu überwinden. Die Situationen werden im Klartraum durchgespielt und so besser verarbeitet. Brigitte Holzinger zeigt in einer Studie von 2001, wie Klarträume die Häufigkeit und Intensität von Albträumen reduzieren. Manche Menschen nutzen das luzide Träumen auch, um sich von ihren Geliebten zu verabschieden. Für Lucas spielen Klarträume vor allem für die mentale Komponente eine große Rolle. Neue Ideen oder Inspirationen für seine Kunst in der Wachwelt findet er oft im Schlaf. Er nutzt das luzide Träumen auch für sein Hobby.
Lucas Krieg: Ich hab mich eben auf mein erstes Kampfsportturnier mental vorbereitet, indem ich das Turnier in einem luziden Traum schon vor dem tatsächlichen Turnier eben mal durchgekämpft hab. Und diese mentale Vorbereitung, sowas schonmal gemacht zu haben, war für mich recht gut, vor meinem allerersten Kampfsportturnier überhaupt. Weil ich da ja praktisch gar keine Vorerfahrung hatte.
Sprechertext: Lucas kann so seine Angst überwinden. Wie damals in seinem Albtraum. Durch seinen Klartraum geht er entspannter und zuversichtlicher in das Turnier in der Wachwelt.
Lucas gibt sein Wissen als Klarträumer weiter. Er hält Vorträge zum Thema Träume oder gibt Coachings, um Schritt für Schritt dem ersten luziden Traum näherzukommen.
Lucas Krieg: Ein guter Start ist immer, dass da Neugier vorhanden ist. Interesse und dass man sich auch wirklich mit dem Thema beschäftigen möchte. Zum Beispiel die Träume aufschreibt oder aufspricht. Anfängt sich dafür zu interessieren und das zu dokumentieren und genauer hinzusehen. Das ist eigentlich immer der erste Schritt.
Sprechertext: Luzide Träume spielen für die meisten Menschen keine große Rolle. Für viele kann es jedoch der Ausweg aus einer Albtraumserie sein. Für andere die Unterstützung bei Alltagsherausforderungen. Vielleicht findet der ein oder andere Klartraum ja auch einen Weg in deinen Schlaf. Und bis dahin: Gute Träume. (SOUNDEFFEKT GUTENACHTLIED)