Social Media ist der neue Schauplatz für den Wahlkampf - Politiker*innen inszenieren sich in kurzen Clips und Memes, stets mit dem Ziel: viral gehen und Wählerstimmen gewinnen. Aber geht es dabei noch um Inhalte? Das hat sich unserer Redakteurin Alina gefragt.
Wahlkampf – nur online, direkt in die Kamera. Auf Social Media verbreiten Politiker nun ihre politischen Ansichten zu jeder Zeit mit einem bestimmten Ziel: viral gehen und dabei so viele neue Wähler wie möglich gewinnen. Mit im Boot sitzen Halbwahrheiten, Manipulation und am Steuer der Algorithmus. Denn es geht schon lange nicht mehr um ehrliche Politik. Es geht mehr darum, wer am lautesten ist. Politik auf BILD-Niveau.
„What’s in my bag?“ – ein Video von Olaf Scholz, gepostet vom TikTok Account TeamBundeskanzler. Die Beschreibung „Der Bundeskanzler gibt tiefe Einblicke in seine Aktentasche“.
Olaf Scholz: “ Das ist meine Aktentasche. Die hab ich schon ziemlich lange – ein paar Jahrzehnte. Und da drin sind natürlich…das wundert jetzt keinen: Akten“
Die Kommentare sind gespalten.
O-TON 2: „Bro, es ist irgendwie 3. Weltkrieg und er stellt seine Aktentasche vor“ (von AI gesprochen)
oder
O-TON 3: “ Ich finde den voll sympathisch. Warum wollen alle Leute, dass er zurücktritt?“ (von AI gesprochen)
Scholz gewährt uns einen, vermeintlich, direkten Einblick hinter die Kulissen des Bundestags. Er versucht, eine Nähe zum Zuschauer oder besser gesagt zum potenziellen neuen Wähler zu schaffen. Videos, wie diese, sind eher harmlos. Gefährlich wird es dann, wenn ein einziger Politiker als Aushängeschild für ein Parteiprogramm steht. Dafür sind besonders die Wahlkampfdebatten in den USA bekannt. Trumps rassistische Twitter-Aktivität ist mittlerweile kein Neuland mehr. Aber auch seine Konkurrentin Kamala Harris nutzt das Netz für sich. Auf ihrem TikTok-Account postet sie Videos mit Stars wie Eminem, Lizzo und Stevie Wonder. Viele Fans nennen die Vizepräsidentin “brat”, eine Trend-Weiterentwicklung des “hot girl summers”. Wenn man “brat” ist, ist man eine selbstbewusste, unabhängige und starke Frau. Natürlich beeinflusst das auch die Einstellung der Wähler. Statt sich inhaltlich mit Themen auseinanderzusetzen, neigen Nutzer dazu, sich auf unterhaltsame, emotionale oder skandalöse Inhalte zu konzentrieren. Besonders junge Menschen wählen nach Charme oder Humor. Oder sie wählen den, der das beste Meme abgibt. Bei Wahlen geht es nicht nur um Sympathie, es geht darum, wofür die Partei steht und was sie umsetzen möchte. Und dafür muss man sich länger als 30 Sekunden mit einem TikTok beschäftigen. Sonst hören wir in den Wahllokalen bald Sätze, wie:
O-TON 4: “Hast du das TikTok von Markus Söder gesehen? Er hat irgendwas von Dönerpreisbremse gesagt. Das hat mich überzeugt.“ (von AI gesprochen)
Natürlich hat nicht nur der Politiker selbst die Fäden in der Hand, auch der Algorithmus spielt eine wichtige Rolle in diesem Stück. Der Algorithmus merkt sich, welches Video du bis zum Ende gesehen hast, welches du geteilt hast oder sogar geliked. Und auch Politiker und Parteien wissen genau, welche Themen und Formate gut ankommen und produzieren gezielt Inhalte, die diese Algorithmen bedienen. Um richtig viral zu gehen, muss man sich auch einfach mal was trauen. Dafür formuliert man den ein oder anderen Satz vielleicht etwas drastischer. Diesen Tipp hat sich der AfD-Politiker Maximilian Müger zu Herzen genommen und sein TikTok-Video mit dem Satz „Wir müssen diese Migration bekämpfen“ begonnen und mit dem Satz „Freie Waffen für freie Bürger“ beendet. Dazu feuert er drei Schüsse aus einem Sturmgewehr ab. Bevor solche Videos gesperrt werden, vergeht Zeit. Zeit, in der junge Menschen vielleicht Gefallen daran finden und sich in ihrer Überzeugung bestätigt fühlen. Es ist ein unendliches Swipen und jedes Swipen lässt den User noch mehr in dem Glauben, dass jeder auf der Welt dieselbe Meinung teilt. Denn der ganze Feed ist doch voll damit. Und die Kommentare auch.
O-TON 5: “ Herr Höcke sollte deutscher Bundeskanzler werden.“ (von AI gesprochen)
oder
O-TON 6: “ Sie sind der Beste, Sie denken stets an das deutsche Volk. Weiter so.“ (von AI gesprochen)
Eine neue Studie der Uni Potsdam belegt, dass die AfD auf Social Media vor den ostdeutschen Landtagswahlen sehr erfolgreich war. Genau genommen doppelt so erfolgreich wie alle anderen Parteien zusammen. Junge Menschen laufen mit Scheuklappen durch die Welt und mit jedem Swipe werden sie enger gestellt. Andere politische Meinungen sind nicht mehr nötig. Und die meisten denken ja so wie ich, zumindest laut Social Media.
Glauben sollte man grundsätzlich wirklich ALLES, was im Internet veröffentlicht wird. Fake News oder Deepfake-Videos sind doch so selten. 57 Prozent der Verbraucher weltweit behaupten, sie könnten ein Deepfake-Video erkennen. Das ergab eine Umfrage aus dem Jahr 2022. Trotzdem haben die meisten Nutzer Szenen aus Videogames mit der Bombardierung ukrainischer Städte verwechselt. Auch deutsche Politiker bleiben nicht verschont. Der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang wurde mithilfe von KI vollkommen andere Worte in den Mund gelegt. Gemerkt hat das kaum jemand.
Eines ist sicher: Politik auf Social Media sollte man mit Vorsicht genießen. Apropos genießen. Macht Markus Söder endlich mal wieder ein Gewinnspiel auf TikTok? Ich will unbedingt 1x Döner essen mit ihm gewinnen. Ein Hoch auf die politische Bildung!