Retro Rabbit: Die kurdische Kommunistin

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Mit Retro Rabbit nehmen wir euch mit auf eine Reise zurück in unsere Archivschätze – die besten Beiträge, Interviews und Highlights aus der Vergangenheit, neu entdeckt für heute!

Terrorismus, Flucht und der Vorwurf einer politisierten Justiz – ein Fall, der polarisiert hat. Im Fokus: Einer der größten Prozesse gegen Kommunisten in der Geschichte der Bundesrepublik. Unsere Reportage beleuchtet die Verhaftung von Banu Büyükavci, die Anschuldigungen gegen die TKP/ML und die persönlichen sowie politischen Dimensionen dieses langwierigen Verfahrens. Ein Jahr Recherche von Reporter Kai Weidinger – jetzt reinhören und tief eintauchen in eine Geschichte voller Widersprüche und unerwarteter Wendungen.

Banu: Und dann waren wir mit zwei Bekannten in einem Café. Und kamen Polizisten. Viele. Wie viele Busse weiß ich nicht. Wir haben geschaut was soll das. Ich hab nie gedacht, dass das für mich war. Und dann zwei, drei Polizisten Beamten sind zu mir gekommen. Und dann „Frau Büyükavci?“ Ich hab „Ja“ gesagt. „Haftbefehl gegen Sie.“ „Ok“, hab ich gesagt und dann das wars.

Kai: Vor drei Jahren hat die Polizei Banu Büyükavci in Nürnberg in Gewahrsam genommen. Der Vorwurf lautet Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Genauer geht es hier um die TKP/ML, die kommunistische Partei der Türkei von Marxisten und Leninisten, die in der linken Szene allerdings nicht unumstritten ist. Diese ist in der Türkei verboten und wird als Terrorgruppe eingestuft. Deutschland bewertet die Partei als linksextrem, aber sie ist erlaubt. Die Angeklagten sollen Geld sammeln und Propaganda für die TKP/ML betreiben. Aus diesem Grund sind 2016 Banu und neun weitere Angeklagte in Untersuchungshaft gekommen. Christoph Neumann ist Professor für Turkologie in München. Er weiß über die Aktionen der TKP/ML in der Türkei Bescheid und kann die Aktionen der Gruppe einordnen. Unter anderem arbeitet sie auch mit der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK zusammen, die in der Türkei seit Jahrzehnten Terroranschläge verübt und auch von der EU als Terrororganisation eingestuft wird.

Banu: Was wird da gemacht. Von Überfällen auf Infrastruktur bis hin zu so etwas Merkwürdigem wie ein Überfall auf ein Bierhaus. Daneben gibt es auch natürlich im freien Felde in den Bergen operierende Einheiten. Dass es so etwas gegeben hat, in den letzten 10 Jahren oder auch in den letzten 15 Jahren, wie eine durchgreifende Form des Guerillakampfes. Das kann man bei der TKP/ML nicht sagen.

Kai: Im Gegensatz zur PKK führt die TKP/ML laut Neumann keinen durchgehenden Befreiungskampf. Oftmals handeln beide Gruppierungen in Aktionen zusammen. Viele der Angeklagten sind aus der Türkei geflüchtet. Banu kann nicht mehr in die Türkei reisen.

Banu: Das ist sehr hart. Ja natürlich, weil ich mag mein Land. Ich will auch mein Land ein friedliches Land haben. Ich kämpfe dafür, ich lebe dafür. Und das ist richtig hart. Und damals viele Genossen von uns, Freunde von uns, sind auch wegen politischen Asyl gekommen und die dürfen nicht gehen.

Kai: Sie haben Angst vor Folter in der Türkei. Viele ihrer Genossen sollen in Türkischer Haft gefoltert worden sein. Im Moment leben alle in Deutschland und nehmen seit drei Jahren am Prozess teil. Über 200 Verhandlungstage sind bis jetzt verstrichen – laut Oberlandesgericht und Strafverteidigung eine unüblich lange Zeit. Christoph Neumann sieht an dem Prozess aber noch ein anderes Problem.

Banu: Die Evidenz ist schwierig zu beschreiben. Denn man hat einerseits Verlautbarungen der türkischen Sicherheitskräfte, die ihre eigenen Interessen und ihre eigenen Sprachregelungen haben. Und auf der andren Seite hat man Propagandamaterial der TKP/ML. Das heißt zuverlässige Angaben zu bekommen ist notorisch schwierig.

Kai: Auch die Strafverteidiger werfen das dem Gericht vor. Sie gehen davon aus, dass in der Türkei nicht ausreichend nach rechtsstaatlichem Prinzip ermittelt wird. Das Oberlandesgericht verweist aber darauf, alle Beweise der Verhandlung geprüft zu haben. Während der Verhandlung sind die Angeklagten in Untersuchungshaft. Ungefähr ein halbes Jahr davon verbrachte Banu in Isolation. Die genaue Lage können sie und ihr Anwalt uns nicht mitteilen.

Banu: Zehn waren wir monatelang isoliert. Das heißt 24 Stunden mit keinem Kontakt außer Beamten, Essen und so weiter und eine Stunde Hof. Und natürlich das war heftig. Weil wir nennen Isolation als schlimmste Folter, weil durch Isolation kann man Identität verändert, wenn es natürlich länger dauert oder irgendwie Krankheiten, Gedächtnisprobleme oder kognitive Probleme haben.

Kai: Tatsächlich wurden manche der Angeklagten in Einzelhaft krank, erzählt uns der Anwalt. Banu musste sich auch mit ihrem Anwalt durch eine Scheibe hindurch unterhalten. Außerdem wurde die Anklageschrift hier einem Leserichter zur Überprüfung vorgelegt. Dieser liest in der Haft die Position der Angeklagten. So soll verhindert werden, das die Anwälte erpresst werden oder Propaganda nach außen tragen. Die Staatsanwaltschaft begründet die lange Einzelhaft mit dem Vorwurf der Terrorunterstützung. Das Oberlandesgericht will sich hierzu uns gegenüber auch nur in einem Informationsgespräch äußern. Sie wollen den Prozess nicht beeinflussen, da es sich um laufende Verhandlungen handelt. Christoph Neumann bewertet die Chancen der Partei, ihre Ziele zu erreichen als gering.

Banu: Ist die TKP/ML ein Verband, der versucht durch Gewaltmittel soziale und politische Veränderung durchzusetzen – JA.  Ist die TKP/ML ein Verband, der Aussichten hat durch den Einsatz von Gewaltmitteln zu grundsätzlichen politischen oder sozialen Veränderungen zu führen – NEIN.

Kai: Er sieht die Gefahr für die Demokratie in der Türkei eher beim türkischen Präsidenten Erdogan. Die Verteidigung der Angeklagten sieht in dem Prozess auch eine Art Politikum. Ein Prozess mit dem Verdacht des Terrorismus wird nämlich vom Bundesjustizministerium durch eine Ermächtigung an die Bundesanwaltschaft erteilt. Die Anwälte fordern, das Bundesjustizministerium soll die Klage zurückziehen. Deutschland erscheine sonst heuchlerisch, weil es aus Rücksicht auf die Türkei das Verhalten decke und die eigenen Werte verrate.

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