Interview mit Karen Krüger

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Psychische Probleme kennen wir alle in irgendeiner Form. Entweder ist man selbst betroffen, oder kennt eine betroffene Person. Unsere Moderator*innen Lisa und Finn haben Karen Krüger interviewt. Gemeinsam haben sie über ihre Studienerfahrungen als Psychologie Studentin und den Umgang mit Stress gesprochen. Welche Tipps sie für ein besseres Wohlbefinden im Studium hat und warum das Thema mentale Gesundheit für uns alle wichtig ist, könnt ihr hier hören.

Finn: Das war „Fake Happy“ von Paramore hier im Rabbit Radio. Es ist jetzt 20:36 Uhr.

Lisa: Und wir begrüßen nun unsere Studiogästin Karen Krüger. Sie ist uns per Zoom zugeschaltet. Hallo.

Finn: Hey Karen, schön, dass du da bist!

Karen: Hallöchen, ihr Lieben! Schön, dass ich hier sein darf.

Finn: Du, für alle, die dich nicht kennen, magst du dich einmal ganz kurz vorstellen?

Karen: Sehr gerne. Mein Name ist, wie ihr schon gesagt habt, Karen Krüger. Ich bin mittlerweile satte 25 Jahre alt und habe vor kurzem meinen Master in Psychologie abgeschlossen. Darf mich also offiziell Psychologin schimpfen. In einem Monat fange ich an, in der Bildungspsychologie meinen Doktor zu machen, also darf ich in die Forschung einsteigen.

Lisa: Was machst du denn da genau, also bei diesem Doktor?

Karen: Das ist eine großartige Frage! Ich werde tatsächlich an einem Projekt arbeiten und mir da genauer anschauen, inwiefern Schülerinnen und Schüler die Instruktionsqualität ihrer Lehrkräfte wahrnehmen. Da werde ich dann verschiedene andere Variablen mit inkludieren und schauen, wie man das vielleicht beeinflussen kann oder worauf das möglicherweise Auswirkungen hat.
Ich werde also an den Schulen ein bisschen tätig sein und mir da anschauen, wie die Kinder im Unterricht so unterwegs sind, und das dann für drei Jahre machen.

Finn: Wir haben jetzt hier in der Sendung schon ziemlich viel über Prüfungsstress und diesen Druck gesprochen, den Prüfungen auch machen. Wie wirkt sich der aktuelle Leistungsdruck denn an den Universitäten und in den Schulen auf die psychische Gesundheit von zum Beispiel Studierenden oder Schülern aus?

Karen: Das ist eine grandiose Frage! Ich fand es tatsächlich sehr spannend, als ich mich ein bisschen dazu eingelesen habe, dass vor allem die Beratungsstellen festgestellt haben, dass seit 2005, also als damals vom Diplom auf Bachelor/Master umgestellt worden ist, einige Leute mehr in die Beratungen gekommen sind. Die haben sich dann zum Beispiel wegen Stress beraten lassen oder auch, wenn sich aktiv irgendwie Prüfungsängste gezeigt haben.

Das heißt, irgendwie scheint diese Aufteilung in Bachelor/Master schon für kleine Probleme gesorgt zu haben damals.
Und ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber bei uns zum Beispiel in der Psychologie kann ich sehr gut nachvollziehen, dass diese Aufteilung zu diesem Problem geführt hat. Einfach, weil bei uns zum Beispiel auch der Numerus Clausus eine große Rolle spielt, sowohl im Bachelor als auch im Master. Das heißt, die Relevanz von Noten ist einfach immer irgendwie da.

Ich glaube, das kommt natürlich immer ein bisschen auf den Studiengang an oder darauf, was man für sich vorhat, aber ich würde schon behaupten, dass es sehr häufig der Fall ist, dass einige Leute sehr, sehr viel Wert auf ihre Noten legen und sich dementsprechend gerne und vielleicht auch ein bisschen zu viel stressen. Wenn es dann um Lernphasen geht und selbst wenn man dann krank ist – vielleicht nicht in der Lage ist zu lernen – sich selbst dann immer noch stressen, was ihre Prüfung angeht.
Also obwohl es in dem Fall vielleicht noch nicht mal daran liegt, dass man Probleme hat beim Lernen oder Probleme hat bei der Prüfung selbst.

Also mit dieser Umstellung kam schon einiges an Stress anscheinend hoch. Und ich glaube auch, wenn man gerade in so einem jungen Alter ist, wie wir es sind, und immer so ein bisschen die ganze weite Berufswelt am Ende des Studiums, der Ausbildung oder der Schule oder was auch immer es ist, sieht, dann will man ja natürlich auch über die gesamte Zeit hinweg nichts verhauen oder versucht sich dann ja auch irgendwie Mühe zu geben oder alles dafür zu tun, dass man irgendwie in einen Job kommt.
Und das kann natürlich bei einigen auch extrem zu Sorgen und Ängsten führen und ja, diverse Probleme mit sich bringen.

Lisa: Du hast ja gerade auch schon gesagt, dass Noten eine Rolle spielen. Also was denkst du, welche Änderungen im Unterricht und bei Prüfungen den Stress ein bisschen reduzieren könnten?

Karen: Da als Beispiel: Ich habe meinen Master jetzt in Schweden gemacht und fand es sehr interessant zu sehen, wie die da auch zum Teil mit den Noten umgegangen sind. Weil in Deutschland ist es ja größtenteils so, dass man benotet wird zwischen eins und sechs und dann immer so in schönen Dreierschritten dazwischen oder Viererschritten. Also es ist eine sehr aufgegliederte Notentabelle und man hat halt sehr, sehr viel Spielraum dann irgendwie in dem, was gut und was schlecht ist. In Schweden war es zum Beispiel bei uns so, dass wir nur A, B, C, D, E, F hatten. Also das war schon mal ein bisschen darin reduziert. Und tatsächlich war es bei meiner Mitbewohnerin so, dass sie nur drei Noten hatten. Also dass sie entweder nicht bestanden haben, bestanden haben oder gut bestanden haben.

Allein daran hat man schon gemerkt, dass das so einen gewissen Stress ja auch irgendwie rausnimmt, dass man nicht auf eine Eins hinarbeiten oder auf eine bestimmte Note hinarbeiten muss, sondern es gibt halt viel weniger Druck dahinter, eine gewisse Zahl zu erreichen. Es ist dann eher dieses: „Okay, ich will jetzt diese Prüfung bestehen, und wenn ich den Anspruch an mich habe, dann mache ich es vielleicht sogar ziemlich gut.“ Oder was weiß ich, man versucht auf eine gewisse Note hinzuarbeiten. Aber es ist halt nicht mehr dieses: „Ich muss jetzt auf Teufel komm raus auf diese 10 kommen und muss 100 Punkte von 100 Punkten erreichen und muss mir jetzt wirklich jedes kleinste Detail von der Folie gemerkt haben.“ Was einige kennen.

Finn: Das heißt, wenn ich das jetzt mal zusammenfasse, was in Schweden zum Beispiel anders ist: Du hast einfach weniger Staffelung, und dadurch ist auch diese Differenz, die Unterscheidbarkeit zwischen den Studierenden, weniger krass und man muss sich weniger Druck machen, um auf eine besonders gute Note zu kommen.

Karen: Genau, ja.

Finn: Du hast mir jetzt meine nächste Frage schon so ein bisschen geklaut. Ich wollte dich gerade nach Schweden fragen. Und zwar hast du jetzt eben schon gesagt, dass du den Master in Schweden gemacht hast, und du hast schon so ein bisschen erzählt, was da im Notensystem anders ist. Aber gibt es noch andere Sachen, die die Schweden anders machen, die vielleicht diesen Stress aus dem Studium und der Schule auch ein bisschen rausnehmen?

Karen: Ja! Ich würde da, falls die Zeit dazu ist, tatsächlich zwei Sachen ansprechen. Das eine ist, was ich sehr spannend fand: Pausen. Ich weiß nicht, wie es euch im Studium geht, aber ich finde, in Deutschland sind wir sehr schlecht darin, Pausen einzubauen, beziehungsweise auch generell schlecht darin, uns Pausen aktiv einzuteilen. Und das war eine der größten Sachen, die mir damals aufgefallen ist, weil wir hatten immer 45-Minuten-Blöcke. Also wir hatten dann auch immer anderthalb Stunden zwischen zehn und zwölf beispielsweise. Wir haben also viertel nach zehn angefangen und bis um elf hatten wir dann eine Einheit. Dann hatten wir eine Viertelstunde Pause und danach hatten wir wieder eine 45-Minuten-Einheit.

Es war so interessant zu sehen, wie viel aufnahmefähiger man nach dieser Pause gewesen ist.
Dass man sich dann auch noch mal einen Kaffee holen konnte und sowas, und dass man dazwischen dann auch einfach mal so ein bisschen Luft holen konnte. Was dann natürlich auch die Folge hat, dass man um einiges mehr während der Stunde lernt und dann im Nachhinein weniger nachholen muss. Und was auch sehr interessant war: Sehr, sehr viele Dozierende haben sehr darauf gepocht, dass wir Pausen machen. Also die haben uns dann wirklich zum Teil aus dem Zimmer geschmissen und gesagt: „Leute, es ist jetzt Pause!“.

Genauso wie wir auch immer zwischen 12 und 13 Uhr beispielsweise gar keine Veranstaltungen hatten, sondern immer Mittagspause fest eingeplant war. Das finde ich ist tatsächlich eine Sache, die in Deutschland zum Teil so ein bisschen fehlt.
Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber bei uns hat man immer so zwischen 12 und 13 Uhr eine halbe Stunde irgendwie reingequetscht bekommen zwischen den Vorlesungen und versucht, sich gerade noch so irgendwie ein Brötchen reinzupfeifen, und ist dann zur nächsten Vorlesung gehetzt. Das fand ich um einiges angenehmer, als es dann so ein bisschen entzerrter geworden ist.

Aber es kommt natürlich auch immer ein bisschen auf die Unis an, ob die das überhaupt umsetzen können, zum Beispiel mit dieser Viertelstunde Pause, vor allem wenn man keine Campus-Uni hat. Dann ist es ja quasi unmöglich, eine Viertelstunde ans andere Ende der Stadt zu radeln.

Was ich auch noch sehr wichtig finde und was auch gerne erwähnt wird, wenn es gerade um Stress bei Studierenden geht, ist die Finanzierung. Wenn es zum Beispiel darum geht, dass man BAföG hat in Deutschland. Da gibt es ja auch nur ein paar Leute, die das haben, und ein paar Leute, die es auf jeden Fall auch bräuchten oder sich damit einigen Stress sparen könnten. Da haben die Schweden tatsächlich ein sehr gut laufendes Prinzip, dass einfach jeder, egal was für einen Hintergrund die Person hat, ungefähr 1000 Euro im Monat bekommt. Davon ist ein relativ großer Teil nur ein Darlehen, aber auch ein gewisser Teil Stipendium, und dementsprechend kann man sich, glaube ich, mit einem Tausender im Monat schon einiges leisten und auf jeden Fall eine Wohnung holen. Das Geld kriegt man dann für sechs Jahre maximal, und darüber hat man schon mitbekommen, dass sehr viele Studierende auch um einiges entspannter waren und einige Leute halt auch viele Möglichkeiten dadurch bekommen haben, überhaupt studieren zu können. Was ja in Deutschland zum Teil einfach durch gewisse soziale Probleme dann auch gar nicht möglich ist, oder man muss dann irgendwie gucken, dass man neben dem Studium, das eigentlich ein Vollzeitstudium ist, dann noch irgendwie drei Nebenjobs reinquetscht, damit man sich irgendwie über Wasser halten kann.

Finn: Ja, ich glaube, das kennen viele von uns.

Lisa: Da haben wir auch einige, auch von unseren Kommilitonen.

Finn: Jetzt haben wir schon sehr viel über diese systemische Ebene gesprochen, was eigentlich eventuell in der Bildungspolitik besser laufen könnte – Stichwort andere Notensysteme, Stichwort andere Finanzierungsmodelle.

Jetzt leben wir dummerweise halt erstmal in dem System, in dem wir gerade leben. Was hast du an Tipps für Studierende, wie wir selber uns die Situation vielleicht ein bisschen erträglicher machen können? Stichwort Stressmanagement, Stichwort besserer Umgang mit dem Leistungsdruck?

Karen: Total! Ich glaube, da hat Lisa tatsächlich schon einige sehr gute Punkte angebracht, wenn es darum geht, sich gesunde Routinen aufzubauen. Ich weiß, es ist immer so der Standardsatz, der fällt, dass man halt immer sagt: „Hab einen guten Schlafrhythmus.“, „Schlafhygiene ist unglaublich wichtig!“ Das ist auch in der Klinik gefühlt immer das Erste, was angesprochen wird.
Hat man eine gute Schlafhygiene? Ja? Nein? Braucht man vielleicht noch etwaige Mittel, damit man gut schlafen kann?

Was natürlich dann auch reinspielt, ist Sport. Gerade in Klausurenphasen ist es unglaublich wichtig, zwischendurch Sport einzubauen, und das hat zwei Gründe. Das erste ist natürlich, dass es unglaublich schön ist, wenn man mal den Kopf irgendwie an etwas anderes orientieren kann. Also bei mir persönlich, wenn ich zum Beispiel joggen gehe, dann bin ich so außer Atem und eigentlich die ganze Zeit nur innerlich am Abkotzen, weshalb ich jetzt joggen gehe, dass ich an wirklich nichts anderes mehr denken kann. Und was dann natürlich noch ein Vorteil ist: Wenn man die ganze Zeit unter Stress und Druck steht, hat man so viel Adrenalin über die ganze Zeit aufgebaut und so viele Stresshormone in sich, dass dann dieser Sport halt auch dafür sorgt, dass man das ein bisschen runterreguliert und halt alles ein bisschen abgebaut wird und man sich danach mit einem ein bisschen frischeren Kopf wieder an die ganze Materie setzen kann, wenn man möchte.

Das heißt, so ein bisschen Sport, Freiraum bieten oder generell ein bisschen Raum machen für
„me-time“ ist immer sehr wichtig. Und was ich vielleicht auch gerne einfach noch sagen wollen würde: Neben den Gewohnheiten ist es auch unglaublich wichtig, sich zu reflektieren in der Art, wie man in der Prüfungsphase ist oder was einem guttut und was eben nicht.

Bestes Beispiel ist, wenn man zu einer Prüfung fährt und merkt, es tut überhaupt nicht gut, da eine Stunde vorher mit sämtlichen Kommilitonen und Kommilitoninnen zu stehen und darüber zu diskutieren, was man noch hätte machen können und dass man gerade voll in Panik verfällt oder so. Dann kommt halt quasi zur letzten Minute erst zur Prüfung gelaufen oder baut euch wirklich eine Routine am Anfang vom Semester auf und sagt euch: „Okay, ich stehe morgens immer um acht Uhr auf, dann mache ich vier Stunden, hab zwei Stunden Pause…“ keine Ahnung wie.

Und natürlich auch vor allem die Erwartungen oder die Prioritäten so ein bisschen setzen, also sich zu sagen: „Wenn ich mir jetzt so eine Gewohnheit hier aufbaue, was ist eigentlich mein Ziel dahinter und wie kann ich sagen, dass ich erfolgreich gewesen bin? Also ist es jetzt wirklich wichtig für mich, diese 10 in der Prüfung von dem Fach zu bekommen, das mich eigentlich so null die Bohne interessiert? Will ich das wirklich haben oder sind das jetzt gerade, was weiß ich, meine Eltern, die da jetzt in meinem Kopf sprechen, oder sind das jetzt Erwartungen von außen, die ich eigentlich gar nicht erfüllen will?“. Dann kann man sich ja zumindest mal ein bisschen beruhigen und sagen: „Das ist gar nicht mein Fach, ist okay, wenn ich das vielleicht mit einer Vier gewinne, bestehe.“ oder sowas, und sich darüber schon mal ein bisschen Druck nehmen. Und genau, einfach sagen,
was einem wichtig ist, was einem weniger wichtig ist und damit schon mal irgendwie lernen, umzugehen und zu arbeiten.

Lisa: Das sind auf jeden Fall schon mal gute Punkte! Danke für deine Einschätzung bis hierher, Karen. Wir machen jetzt eine kleine kurze Musikpause mit Sondaschule und „Bist Du Glücklich“, bevor wir dann mit dir über die Stigmatisierung von mentaler Gesundheit bei jungen Menschen sprechen.

Finn: Bis gleich!

Musik

Finn: Das war: „Bist Du Glücklich“ von Sondaschule. Es ist jetzt 20:52 Uhr hier bei Rabbit Radio und bei uns im Studio ist gerade wieder Karen Krüger zugeschaltet. Sie hat in Schweden ihren Master in Psychologie gemacht und bereitet sich gerade auf ihren Psychologie-Doktor vor.

Lisa: Und mit ihr sprechen wir jetzt über das Thema: Stigma von psychischer Gesundheit, speziell bei jungen Leuten. Darüber hat sie auch ihre Masterarbeit geschrieben.

Finn: Ja, Karen, erstmal dieses Thema „Stigma von psychischer Gesundheit“ klingt jetzt erstmal ganz schön sperrig. Kannst du uns das vielleicht in einfachen Worten einmal kurz erklären, was das heißt?

Karen: Sehr gerne. Finde ich auch sehr wichtig, dass man das überhaupt erst mal so gehört hat, weil ich glaube, manchen Leuten ist gar nicht bewusst, dass das vielleicht sogar ein Ding ist.
Stigma insgesamt beschreibt, dass eine gewisse Form von Diskriminierung oder eine Benachteiligung oder eine sehr, sehr negative Perspektive auf ein gewisses Thema vorherrscht. Besonders bei der mentalen Gesundheit unterteilt man das eigentlich immer so in verschiedene Arten von Stigma.

Es ist halt immer dieses wunderschöne Konstrukte-Arbeiten in der Psychologie, aber es hilft manchmal, glaube ich, ein bisschen das irgendwie zu verstehen oder einzuordnen. Es fängt dann meistens immer so auf einer sehr übergeordneten großen strukturellen Ebene an, die aber weniger relevant ist für uns jetzt. Aber was man so oder so von sich her vielleicht auch schon kennt oder in der Umwelt kennt, ist das sogenannte soziale Stigma. Also inwiefern mentale Gesundheit oder auch das Hilfesuchverhalten im Bezug auf mentale Gesundheitsprobleme, sprich in eine Therapie gehen,
in der sozialen breiten Masse irgendwie wahrgenommen wird.

Meistens habe ich das Gefühl, ist das immer noch eher negativ wahrgenommen oder negativ konnotiert. Und umgekehrt gibt es halt auch das Selbststigma, was eigentlich in der Theorie eine sehr internalisierte Variante ist von dem, was man außen immer so mitbekommen hat. Dementsprechend läuft das darauf hinaus, dass man halt von außen immer dieses Bild von mentaler Gesundheit oder mentalen Problemen wahrnimmt und das dann irgendwann auf sich selbst projiziert.
Zum Beispiel sagt: „Okay, würde ich mir jetzt Hilfe suchen, dann wäre ich weniger intelligent oder weniger selbstständig oder kann nichts oder bin schwach.“ Und das sind alles verschiedene Punkte, die in Stigma reinfallen und das Ganze auch zum Problem machen.

Lisa: Und wie lernt man damit umzugehen?

Karen: Ich glaube, das Erste ist erstmal wieder, dass man das realisiert. Also dass man vielleicht auch für sich festhält:
„Okay, weshalb habe ich diese Gedanken überhaupt? Weshalb denke ich, dass ich schwach bin oder vielleicht auch weniger intelligent, wenn ich in Therapie gehen sollte?“. Weil eigentlich ist es nicht so, dass wenn du in Therapie gehst, die IQ-Punkte fallen oder dass du dann vielleicht ein Sudoku nicht mehr schaffst oder so. Es hat in dem Sinne nichts mit deiner Intelligenz zu tun.

Und umgekehrt finde ich es eigentlich immer noch viel, viel stärker, wenn man in Therapie geht. Gerade angesichts dessen, dass man selbst ja eigentlich immer mit einem Leid dasteht. Also man hat ja, wenn man mentale Gesundheitsprobleme hat, irgendwas, worunter man leidet oder womit man ein Problem hat. Und dann mit diesem Problem plus eventuell einem Umfeld, das einem dauernd versucht zu vermitteln, dass es irgendwie blöd ist, in eine Therapie zu gehen, sich da durchzuboxen und zu sagen:
„Ey, wisst ihr was, mir geht es gerade schlecht! Wenn ich versuche, einfach Hilfe zu holen und mich irgendwie wieder wohl zu fühlen in meiner Haut und in dem, wie ich in der Welt agiere, das finde ich tatsächlich um einiges stärker!“.

Aber das muss man sich auch erstmal bewusst machen und dafür braucht man vielleicht auch ein paar Leute, die man kennt, die vielleicht auch selber schon in Therapie waren oder sich Hilfe geholt haben, die einem dann auch sagen: „Ja, mach es, tu es! Es ist gut, es hilft dir!“. Also sich eben richtige Unterstützung zu suchen.

Finn: Du hast das jetzt gerade schon so ein bisschen angeschnitten. Wir hören ja jetzt gerade auch in den sozialen Netzwerken immer mehr und auch so im Freundeskreis, dass es super wichtig ist, über mentale Gesundheit zu sprechen, gerade auch in unserer Altersgruppe. Aber warum eigentlich?

Karen: Mhm. Ich glaube, das hat verschiedene Gründe. Erstmal ist es natürlich unser Alter. Man steht so ein bisschen zwischen den Stühlen, von wegen man hat gerade irgendwie so ein bisschen das Elternhaus verlassen und geht jetzt über in das eigene Erwachsenenleben beispielsweise. Da sagt man, dass das so die Phase ist, wo man mit der größten Vulnerabilität eigentlich konfrontiert wird, die es im Leben so gibt. Also man versucht ja irgendwie zu lernen, erwachsen zu werden, schließt die ersten Versicherungen ab vielleicht oder versucht, eigenes Geld zu verdienen und eben klarzukommen. Und an diesem Punkt geht es einem vielleicht dann auch einfach nicht gut, und da dann anzusetzen und sich Hilfe zu suchen und sich wieder besser zu fühlen und auch, wie du ja vorhin schon gesagt hast, sich halt auch Strategien fürs Leben mitzunehmen. Also dass man in weiteren Fällen, wenn es einem dann wieder schlecht geht beispielsweise oder wenn es einem auf andere Art und Weise schlecht geht, dass man dann wieder mit so einem Strategiekasten um die Ecke kommen kann und sagen kann: „Ey, ich weiß, das und das fühlt sich nicht gut an, ich versuche mich jetzt irgendwie anzupassen oder versuche mir jetzt eine neue Strategie anzueignen.“ oder wie auch immer, dass man einfach lernt, mit der eigenen psychischen Gesundheit umzugehen und das irgendwie zu bearbeiten, zu behandeln und sich zu verbessern oder sich zu genesen in dem Sinne. Das ist unglaublich wichtig, und je früher man das lernt, desto besser ist es. Gerade weil in unserem Alter und im jüngeren Alter des Erwachsenseins auch so hohe Prävalenzen beziehungsweise so hohe Auftretenswahrscheinlichkeiten von mentalen Gesundheitsproblemen bestehen, dass es unglaublich wichtig ist, dass wir auch anfangen, uns dann Hilfe zu suchen, bevor es zu lange dauert oder bevor man zu lange mit einer Störung irgendwie durch die Welt wandelt.

Lisa: Also siehst du quasi auch positive Veränderungen darin, wie wir heute über mentale Gesundheit sprechen, im Gegensatz zu zum Beispiel unseren Eltern?

Karen: Definitiv! Ich glaube auch, beziehungsweise es gibt ja, wenn man auf YouTube zum Beispiel guckt, mittlerweile auch von den Öffentlich-Rechtlichen so viele Kanäle, die mentale Gesundheit ansprechen und versuchen, darüber aufzuklären, und das ist ja schon mal ein unglaublich großer Schritt, dass man überhaupt erstmal lernt, was mentale Gesundheit eigentlich ist.

Ich meine, das hatten wir in der Schule nie. Man hat nie über mentale Gesundheit geredet, man hat immer irgendwie vielleicht über Sexualgesundheit geredet oder Ähnliches, aber mentale Gesundheit kam nie vor. Und dann erstmal zu lernen: Okay, mentale Gesundheit ist ein Ding und es ist nichts Verrücktes. Das ist nichts, womit man direkt irgendwie als sonst was betitelt wird oder Material für einen Horrorfilm wird, sondern das ist was komplett Normales.

Also ich habe gerade nochmal nachgeguckt, und es ist zum Beispiel so, dass jeder oder mehr als jeder vierte Erwachsene in Deutschland im Jahr an irgendeiner Form von mentaler Gesundheitsproblematik leidet, und das sind beim besten Willen nicht wenig. Und dass man das dann so aufbauscht oder da dann solche Probleme oder Barrieren erzeugt, dass Leute sich dann Hilfe suchen, ist unglaublich problematisch. Da ist einfach der öffentliche Diskurs unglaublich wichtig und hilfreich, und dass man halt mehr darüber lernt, ist sehr, sehr hilfreich.

Lisa: Ich wollte jetzt noch fragen: Also öffentlicher Diskurs – was können wir alle, also Studierende, Dozenten und auch Universitäten tun, um dieses Stigma so ein bisschen abzubauen?

Karen: Ich glaube, was manchmal sehr schön ist oder sehr hilfreich ist, je nachdem, wozu man sich natürlich traut oder was man gerne macht, entweder den Raum schaffen, auch allgemein in Universitäten oder auch in Städten oder so. Ich meine, da gibt es ja schon Selbsthilfegruppen, aber vielleicht auch Räume schaffen, wo man halt mehr Erfahrungen austauschen kann und dann einfach lernt, dass mentale Gesundheit jeden betreffen kann. Also dass es nicht irgendwelche gewissen Gruppen sind, die davon mehr oder weniger betroffen sind, sondern dass man halt viel mehr in den Austausch kommt und sich einfach öffnet oder auch die Räume findet, sich zu öffnen.

Das ist natürlich nicht leicht, wenn man das Gefühl hat, man wird schief angeguckt, wenn man seine Geschichte teilt, aber wenn man den Raum dafür schafft, wo es gut und sicher ist, das zu tun, dann ist das unglaublich toll. Und auch gerade in Freundesgruppen, wenn man da merkt: „Okay, man hat vielleicht ein paar Leute, mit denen man sich super austauschen kann oder mit denen man sich als Front präsentieren kann“, dass man das vielleicht auch in einer etwas größeren Freundesgruppe mal endlich diskutieren kann, dann ist das großartig. Also dass man es versucht, anzusprechen, zu teilen, vielleicht auch spielerisch zu machen. Es gibt einige Spiele, die darauf hinzielen, dass man sich über die eigene mentale Lage austauscht, und ja, das kann unglaublich hilfreich sein.

Finn: Alles klar. Ganz, ganz lieben Dank dir, Karen, für dieses Interview. Super coole Tipps, super coole Insights. Wir machen jetzt nochmal weiter mit Musik für euch. Hier kommt „Add Up My Love“ von Clairo.

Wenn Du selbst mit psychischen Problemen zu kämpfen hast und Unterstützung brauchst, kannst Du Dich jederzeit anonym an die Telefonseelsorge wenden.
Die Hotline ist rund um die Uhr erreichbar unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222.

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