Interview mit Sabine Böhne-Di Leo

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“Die Erfindung der Bundesrepublik: Wie unser Grundgesetz entstand” heißt das Buch von Sabine Böhne-Di Leo. Sie ist neben einer Bestseller-Autorin auch Professorin an der Hochschule Ansbach. Wir haben Sie gefragt, wie es war, so ein Buch zu schreiben und wie wahrscheinlich die Entstehung unseres Staates war.

Nico: Frau Böhne-Di Leo, Sie sind nicht nur Professorin und Studiengangsleiterin im Fach Ressortjournalismus an der Hochschule Ansbach hier, sondern jetzt auch Buchautorin. Wann schlafen sie eigentlich?

Sabine Böhne-Di Leo: Jede Nacht hoffentlich sieben bis acht Stunden.

Nico: Aber zeitmäßig geht das? Also war das anstrengend, war das beanspruchend?

Sabine Böhne-Di Leo: Das Buch zu schreiben? Ja, das war sehr anspruchsvoll. Also die Wochenenden habe ich eigentlich durchgemacht.

Nico: Wie lange haben sie daran gearbeitet?

Sabine Böhne-Di Leo: Zwei Jahre.

Nico: Sie sind in letzter Zeit eine viel gefragte Expertin zu dem Thema und geben eben auch wie hier Radio, Print oder Fernsehinterviews. Wie gefällt Ihnen eigentlich dieser Trubel um Ihre Person?

Sabine Böhne-Di Leo: Der ist mir eher unangenehm. Das ist ein ganz komischer Zustand, muss ich sagen. Also ich freue mich einerseits, dass das Interesse an dem Buch und vor allen Dingen am Grundgesetz so groß ist. Das ist eine Bestätigung natürlich auch für mich und in gewisser Weise auch Lohn für die Arbeit. Auf der anderen Seite ja, es ist mir immer so ein bisschen unangenehm, so im Vordergrund zu stehen.

Nico: Ihr Buch „Die Erfindung der Bundesrepublik: Wie unser Gesetz entstand“ ist vor kurzem im Verlag Kiepenheuer und Witsch erschienen. Was hat Sie dazu bewegt,  unsere Verfassung als Thema für ein Buch zu nehmen?

Sabine Böhne-Di Leo: Hitler und die Nazis hatten, mit großer Unterstützung der deutschen Bevölkerung, unser Land in ein tiefes schwarzes Loch gestürzt und ich wollte erzählen, wer die Menschen waren, die uns aus diesem Loch wieder herausgezogen haben. Das war mein Anliegen. Was waren das für Leute ? Was waren das für Typen? Wie haben sie die Nazizeit erlebt und erlitten und wie ernst war ihnen diese Aufgabe eine Verfassung für einen demokratischen Staat auszuarbeiten und dann war der zweite Schritt, die die Frage oder die zweite Frage war, unter welchen Umständen haben sie diesen Auftrag erfüllt?

Nico: Was war denn besonders schwierig beim Schreiben des Buches?

Sabine Böhne-Di Leo: Eine große Herausforderung waren die Protokolle, also mir ist ziemlich schnell klar geworden, dass ich die Protokolle des Parlamentarischen Rates, also das war ja das Gremium, die Institutionen, die die Verfassung ausgearbeitet haben, dass ich diese Protokolle beschaffen muss und die auch lesen muss. Das waren 17 dicke fette Bände. Die habe ich jetzt nicht alle gelesen, sondern ich hab´ mir dann ganz bestimmte Artikel des Grundgesetzes rausgesucht und dann in den Protokollen eben verfolgt, wie die Diskussionen über die Formulierungen dieser einzelnen Artikel gelaufen sind. Es war wirklich sehr schwierig, aber ich bin dann reingekommen und hab mich auch in diese textliche Diktion hineingefunden und gefühlt, und es war dann sehr spannend, weil ich ganz viele Anekdoten gefunden habe, ganz viele interessante, auch witzige Dialoge gefunden habe und mir auch klar geworden ist mit welchem Ernst und auch mit welcher staatsrechtlichen Weisheit die Bonner da ans Werk gegangen sind.

Nico: In einer Rezension zu ihrem Buch heißt es, Sie haben der Arbeit am Grundgesetz ein Gesicht gegeben. Sie nehmen sich also nicht nur juristisch Arbeit von 1948-49 in den Fokus, sondern vor allem die Biographien, Anekdoten und persönlichen Geschichten auch der Akteure. Warum war Ihnen das so besonders wichtig?

Sabine Böhne-Di Leo: Das sollte auf keinen Fall ein historisches Lehrbuch sein oder ein juristisches Fachbuch. Ich bin ja keine Juristin. Ich bin Politik-Wissenschaftlerin, das habe ich studiert, aber ich bin von Beruf Journalistin und wie gehen Journalisten vor? Sie personalisieren, also sie suchen sozusagen für ihre Geschichte, für ihr Thema suchen sie Protagonisten mit Hilfe derer sie eben die Geschichte und die Entstehungsweise erzählen können, und von daher war klar, dass ich mir diese Protagonisten suchen müsste. Das waren zum Beispiel Carlo Schmid von der SPD, der das Grundgesetz maßgeblich geprägt hat. Das war Konrad Adenauer. Das war aber auch Louise Schröder, die damalige amtierende Oberbürgermeisterin von Berlin, die damals im Fokus der Weltöffentlichkeit stand und heute nahezu vergessen ist. Also solche Leute wollte ich einfach sozusagen wieder zurückholen in das öffentliche Gedächtnis und auch erzählen, wie die die Nazizeit erlebt und erlitten haben und wie sie das Grundgesetz geprägt haben.

Nico: Das ist sehr schön, dass sie genau diese drei Namen genannt haben, weil das ist auch Teil meiner nächsten Frage. Nämlich wir erfahren unter anderem eben von den gewieften und rhetorisch begabten Adenauer oder von dem Juraprofessor, der doch ein bisschen Kunst-affin ist in Carlo Schmidt und eben der mutigen Berliner Bürgermeisterin Louise Schröder und natürlich auch noch viel mehr Figuren. Aber wie gesagt die drei haben Sie zufällig genannt gerade. Wenn Sie die Möglichkeit hätten, mit wem würden Sie gern einfach mal Abendessen?

Sabine Böhne-Di Leo: Am liebsten mit allen Dreien. Ganz besonders reizvoll ist die Figur Carlo Schmid, das muss ich schon sagen, der sehr eloquent war und der sehr leidenschaftlich bei der Arbeit war und zu Anfang ja gesagt hat, das geht überhaupt nicht. Also er war derjenige, der die Parole vom Provisorium ausgegeben hat, und er hat gesagt, „wir können ja überhaupt kein Grundgesetz ausarbeiten oder keine Verfassung ausarbeiten für einen Staat, der überhaupt kein ganzer Staat ist“, weil die Ostdeutschen war ja nicht daran beteiligt, und das hat er am Anfang vehement abgelehnt. Aber er ist dann der Faszination erlegen, endlich nach dieser schrecklichen Zeit der Diktatur wieder eine Verfassung für einen demokratischen Staat zu schreiben. Ich hab´ mich lange gefragt, ob es nicht eine Chance gegeben hätte, doch mit den ostdeutschen Kommunisten-Vertretern der SED tatsächlich sich an einen Tisch zu setzen, um gemeinsame Sache zu machen, damit es nicht auf diese Teilung Deutschlands hinausläuft, die ja die Folge war im Grunde. Carlo Schmid war derjenige, der - das habe ich dann auch aus den Protokollen -, die Antwort gegeben hat darauf, dass das nur möglich sei, wenn es eine Einheit in Freiheit gäbe und wenn die Gewaltenteilung und die demokratisch republikanischen Prinzipien, wie sie eben in Westdeutschland mit unserem Grundgesetz festgeschrieben worden sind, wenn es die auch für den ostdeutschen Teil gegeben hätte. Und das hat die ostdeutsche SED und die Sowjets unter Stalin eben abgelehnt. Und er hat gesagt, das wäre erst gegeben, wenn so jemand wie Konrad Adenauer frei in Magdeburg sprechen könnte. Das durfte er nicht zu dem Zeitpunkt und insofern hat er mir da wichtiger, die richtigen Antworten auf wichtige Fragen geliefert.

Nico: Wie hat die Arbeit an dem Buch Ihre Sicht auf die deutsche Geschichte beeinflusst?

Sabine Böhne-Di Leo: Ich habe sehr viel dabei gelernt, mir war vorher auch gar nicht so klar wie zentral die Berlin-Krise mit der Blockade, die Stalin am 24. Juni verhängt hatte 1948, wie eng verbunden die Geschichte in Berlin und die die Krise mit der Entstehung des Grundgesetzes verflochten war, und als ich das verstanden habe, dass auch die Blockade parallel zur Entstehung des Grundgesetzes lief und die Luftbrücke habe ich eben beschlossen, die Entstehung des Grundgesetzes in zwei Erzählsträngen zu erzählen. Nämlich Bonn und Berlin. Bin da immer hin und her gewechselt und habe das miteinander verzahnt und das war auch ein Reiz dieser Arbeit, dieses Erzählformat zu entwickeln.

Nico: Man muss sagen, sie kennen das Grundgesetz jetzt ja wahrscheinlich komplett auswendig. Dürfen wir als Deutsche Stolz auf unser Grundgesetz sein und vielleicht auf welchen Artikel besonders?

Sabine Böhne-Di Leo: Ja, also ich kann das nicht auswendig. Die 146 Artikel, das könnte ich gleich sagen, das wäre zu viel verlangt. Sie können, wir alle, wir Deutschen können stolz auf das Grundgesetz sein. Das ist eine veritable Verfassung, auch wenn immer die Rede vom Provisorium gewesen ist. Es steht alles drin, was es für die Organisation eines demokratischen Gemeinwesens braucht. Ganz toll sind natürlich die Grundrechte, die am Anfang stehen, anders als in der Weimarer Verfassung und vorneweg der Artikel 1, die Würde des Menschen ist unantastbar, da also mit allem aufzuräumen was Hitler zerstört hatte, der ja gemeint hat, dass Menschen je nach Rasse unterschiedlichen Wert hätten. Und die Würde des Menschen ist unantastbar bedeutet eben, dass alle Menschen den gleichen Wert haben, egal wo sie herkommen, ob sie geflüchtet sind oder hier geboren sind. Egal, ob sie jung sind oder hochbetagt. Ob sie krank oder gesund sind. Alle sind von Natur aus mit dieser Würde ausgestattet und das war eine große Leistung.

Eine große Leistung war auch die, die sozusagen die Lehren aus den Fehlern der Weimarer Republik zu ziehen.
Der Reichstag konnte jederzeit mit einer Mehrheit der Abgeordneten die jeweilige Regierung stürzen und davon haben rechtsradikale Parteien und linksradikale Parteien sehr intensiv Gebrauch gemacht. Das heißt die haben sich zusammengetan haben sich vorher abgestimmt und dann haben sie eben Misstrauensvotum gestellt und haben die jeweilige Regierung, den Kanzler gestürzt, ohne sich auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten geeinigt zu haben. Das war einer der Fehler, und daraus haben sie halt die Lehre gezogen, in Zukunft ein konstruktives Misstrauensvotum in der Verfassung, im Grundgesetz zu verankern. Das bedeutet, dass, wenn das Parlament, also heute unser Bundestag, einer Regierung, einem Kanzler, das Misstrauen ausspricht, dann muss zugleich ein Gegenkandidat bereitstehen, der dann auch gewählt wird.

Nico: Gibt es etwas, was Ihnen in Bezug auf das Grundgesetz heute Sorgen macht?

Sabine Böhne-Di Leo: Naja, da wird ja tagtäglich darüber diskutiert. Wir haben einen deutlichen Rechtsruck in der Gesellschaft. Wir haben eine Partei, eine rechtsradikale Partei, die in Teilen als faschistische Partei bezeichnet werden kann. Die sich anschickt, in einigen Landtagen die Mehrheit zu bekommen. Wir wissen nicht, wie die bei den Europawahlen abschneiden. Also wir haben die Kräfte sozusagen, die dieses Grundgesetz und unsere freiheitliche Grundordnung angreifen. Die scheinen stärker zu werden. Das besorgt einen natürlich.

Nico: Ich hab noch eine letzte, hypothetische Frage und die bezieht sich darauf, dass in Ihrem Buch, wird auch viel drüber berichtet, dass es viele Gegenstimmen eben auch gab zu diesem Entwicklungen des Grundgesetzes. Wie wahrscheinlich wäre es denn gewesen, dass das ganze Konstrukt einfach nicht funktioniert hat, dass diese Umsetzung nicht funktioniert hätte?

Sabine Böhne-Di Leo: Ich will es mal so sagen: Es war nicht gewiss. Es war überhaupt nicht abzusehen, dass das tatsächlich funktionieren würde. 1948-49, das war ein Jahr von großer Unübersichtlichkeit, da war sehr viel politische Dynamik. Der kalte Krieg war entstanden, Berlin war praktisch zur Frontstadt des Kalten Krieges geworden. Es hätte sein können, dass die Amerikaner und die Briten gesagt hätten: “Ok, wir lassen jetzt mal die Deutschen in Ruhe, wir haben unseren Teil getan und Hitler besiegt und jetzt sollen sie alleine klarkommen”, und dann werden sie abgezogen und dann wären wir sicherlich praktisch den Sowjets und Stalin zugefallen. Dann hätte es keine demokratische Verfassung gegeben und dann hätte es kein demokratisches Westdeutschland gegeben, keine Bundesrepublik Deutschland.

Nico: Gut, dann können wir ja froh sein, dass es funktioniert hat, dass es nicht so weit gekommen ist.

Sabine Böhne-Di Leo: Ja, war eine große Leistung und das Grundgesetz ist für unser Land ein großes Glück gewesen, auf das wir wirklich stolz sein können.

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