Kiffen gegen Stress? - Stressverarbeitung im Gehirn

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Stress – ob bei Klausuren oder auf der Arbeit, überall im Alltag plagt er uns. Für viele ein Grund, zum Joint zu greifen und den Stress wegzupaffen. Doch was macht Cannabiskonsum eigentlich mit unserem Gehirn, wenn wir mit stressigen Situationen konfrontiert sind? Hilft Cannabis uns dabei, unter Druck effizienter arbeiten zu können? Diesen Fragen hat sich eine Studie von Mediziner Dr. Christian Dernbach gewidmet. Unser Autor Lukas Harth war seinerzeit selbst Proband des Experiments. Er hat für uns mit dem Macher der Studie gesprochen und die Forschungsergebnisse in seinem Beitrag zusammengefasst.

ATMO: MRT-Geräusch, lauter werdendes Klopfen

ST: Ich liege in einer großen, weißen Röhre. Allein. Es ist eng hier, bewegen kann ich mich kaum. Allerdings soll ich mich auch gar nicht bewegen, ich soll so ruhig wie möglich liegen bleiben. Über mir hängt ein Bildschirm. Ich soll mich jetzt ganz auf die Aufgaben konzentrieren, die mir dort gleich präsentiert werden.
Was hier wie eine Szene aus einem futuristischen Film klingt, habe ich tatsächlich so erlebt. 2016 nahm ich nämlich an einer Cannabis-Studie teil. Als Proband. Angeworben hat mich seinerzeit Christian Dernbach. Damals war er Student an der Uniklinik Bonn, heute ist er Arzt. Diese Studie war Teil seiner Doktorarbeit in Medizin. Acht Jahre lang habe ich völlig vergessen, dass ich da überhaupt mitgemacht habe – und von den Ergebnissen hatte ich erst recht keinen Schimmer. Erst nach Cannabislegalisierung im April dämmerte es mir wieder… Da war doch was! Um was ging’s da nochmal?

O-TON 2 : „Was uns aufgefallen war, war die Tatsache, dass viele Cannabiskonsumenten ja berichten, dass sie vor allen Dingen dann Cannabis konsumieren, wenn sie sich gestresst fühlen, also irgendwie unter Druck sind. Das heißt, wir wollten gucken, was passiert bei Leuten, die regelmäßig Cannabis konsumieren in ihrem Gehirn, wenn die unter Stress gesetzt werden. Und das war zum Zeitpunkt tatsächlich noch in keiner Studie untersucht worden.“

ST: Die gesundheitlichen Auswirkungen von Cannabis auf unseren Körper und speziell unser Gehirn standen allerdings auch vor der Studie von Christian Dernbach schon häufiger im Fokus der Forschung.

O-TON 3: „Viele Studien haben sich damit befasst, auf Verhaltensebene die Auswirkungen zu untersuchen. Cannabiskonsumenten und Control-Probanden wurden Fragebögen verteilt, so von wegen: Wie gestresst fühlt ihr euch auf einer Skala von 1 bis 10? Die Hirnaktivität zu beurteilen, das wurde erst in sehr wenigen Studien gemacht und dann auch nicht explizit auf die Stressverarbeitung, sondern für andere Funktionen unseres Gehirns. Das ist vor allen Dingen zu dem Zeitpunkt das Gedächtnis gewesen.“

ST: Als bewiesen gilt seit ein paar Jahren zum Beispiel, dass regelmäßiger Cannabiskonsum einen negativen Einfluss auf unsere Gedächtnisleistung hat – vor allem das Langzeitgedächtnis ist davon betroffen. Kiffen macht vergesslich. Sogar mehr noch: 2020 konnten Forscher beweisen, dass regelmäßiger Cannabiskonsum nicht nur das Erinnerungsvermögen schwächt, er sorgt auch für falsche Erinnerungen. Doch – kann Cannabis andererseits vielleicht Stress reduzieren und uns dabei helfen, unter Druck besser arbeiten zu können? Das wollte Dernbach herausfinden.

O-TON 4: „Dann fragt man sich natürlich Wie kann man das machen? Wie kann man jemandem im experimentellen Rahmen unter Stress setzen? Und das hast du ja selber erlebt. Es war ja ein Experiment, wo man unter anderem in im MRT-Gerät sitzt.“

ATMO: MRT-Geräusch

ST: Springen wir wieder zurück zum Anfang. Ich liege in der MRT-Röhre. Es ist wahnsinnig laut um mich herum, die Maschine poltert und pulsiert: Sounds wie in einem Berliner Underground-Club. Nur hier erscheint auf dem Bildschirm vor mir eine Rechenaufgabe.

Andere Sprecherstimme: 13 – 9 x 2 = ?

ST: Okay, so weit, so easy. Das bekomme ich noch gerade so hin, obwohl Mathe wirklich nie mein Fall war… In einem weiteren Durchlauf läuft allerdings ein Countdown.

Andere Sprecherstimme: 11 – 4 x 3 = ?

„Du hast 5 Sekunden. 3, 2, 1 – Wie ist das Ergebnis?“

O-TON 5: „Wir haben das Ganze dann noch gekoppelt mit einem psychosozialen Feedback. Das heißt, der Proband hat direkt eine Rückmeldung bekommen, ob die Antwort richtig war oder falsch. Und das sorgt bei den meisten auch nochmal dafür, dass sie gestresst sind, wenn sie gesagt bekommen: „falsch“–  und dann geht es direkt weiter, nächste Aufgabe. Und genau so kann man dann relativ schnell auch im MRT bei jemandem Stress induzieren.“

ST: Daran kann ich mich noch gut erinnern. Auch bei mir hat der Zeitdruck und das Feedback Stress ausgelöst, mein ganzer Körper war angespannt. Die gesamte Konzentration war in diesem Moment gefordert. Bloß nichts Falsches oder Peinliches antworten.

O-TON 6: „Man weiß, wenn eine Person Stress ausgesetzt wird, dann werden in der Regel bestimmte Hirnregionen aktiv. Die leuchten dann im Bildschirm richtig auf. Und diese Hirnregion konnten wir tatsächlich sowohl bei den Kontrollprobanden als auch bei den Cannabiskonsumenten replizieren. Das ist dafür wichtig, damit man nämlich nachweisen kann, dass man in seinem Experiment die Leute auch unter Stress gesetzt hat.“

ST: Einer dieser gestressten Kontrollprobanden war ich. Im Fokus der Studie lagen natürlich vordergründig die Hirnaktivität von Langzeit-Cannabiskonsumenten. Als solcher galt man in diesem Experiment dann, wenn man mindestens an vier Tagen pro Woche konsumiert – und das seit mindestens einem Jahr. Aber um überhaupt einen Vergleich ziehen zu können, mussten natürlich auch Nicht-Konsumenten teilnehmen – so wie ich. Hierbei ging es speziell um die Gehirne von Männern zwischen 18 und 40 Jahren.

O-TON 7: „Letztlich sind dann, glaube ich, 28 Konsumenten und 23 Kontrollprobanden in die Studie eingeflossen. Das klingt jetzt erst mal sehr wenig. Da muss man aber auch sagen, dass Studien mit der MRT-Technik sehr teuer und aufwendig sind. Also man kann nicht hunderte Leute durch dieses MRT jagen. Wenn man an einer MRT-Studie 20 Leute bekommt pro Gruppe, dann ist das schon sehr gut, dann besitzt das schon eine Aussagekraft.“

O-TON LUKAS: „Mich würde jetzt brennend interessieren, was da bei der Studie rausgekommen ist. Was war das Ergebnis?“

O-TON 8: „Wir konnten tatsächlich feststellen, dass es Unterschiede gibt in der Hirnaktivierung zwischen den Probanden, die regelmäßig Cannabis konsumiert haben, und denjenigen unter unseren Kontrollprobanden. Da hat sich gezeigt, dass eine bestimmte Hirnregion bei den Cannabiskonsumenten weniger aktiv war als bei Probanden, die kein Cannabis konsumiert haben.“

ST: Diese Hirnregion nennt sich Precuneus. Und er sitzt in unserem Hinterkopf. Vereinfacht gesagt wird der Precuneus aktiv, wenn wir mental richtig gefordert sind. Je schwieriger die Aufgabe, je größer der Druck, umso aktiver diese Hirnregion, so zumindest bei Menschen, die kein Cannabis konsumieren.

O-TON 9: „Haben wir jetzt die Stressbedingung uns angesehen – dann haben wir gesehen, oh, die Cannabiskonsumenten – bei denen ist die Aktivität dieses Precuneus sogar zurückgegangen.”

ST: Klingt erst mal gut: Diese spezielle Stressregion geht bei Kiffern in den Schlafmodus. Was aber nicht so gut ist: Das Gehirn bleibt dennoch keineswegs cool. Es versucht vielmehr diesen Verlust auszugleichen und schaltet jetzt großflächiger auf Stress, mehrere andere Regionen werden zum Ausgleich aktiviert. Und was bedeutet das für die Rechenleistung? Leider nichts Gutes. Denn …

O-TON 10: „…gleichzeitig konnten wir sehen, dass die Cannabiskonsumenten unter Stress auf einmal viel schlechter    abgeschnitten haben. Sie konnten die Rechenaufgaben gar nicht mehr so gut machen. Das heißt, die Cannabiskonsumenten konnten den Stress, oder die Auswirkungen auf die mentale Leistung, nicht ausgleichen, wie das jemand tun kann, der kein Cannabis konsumiert.“

ST: Das Ergebnis lautet also: Cannabiskonsumenten performen schlechter als Nicht-Konsumenten. Und entgegen den Klischees bleiben sie angesichts der Aufgabe keineswegs gelassen, sondern der Stresslevel im Hirn steigt auch bei Kiffern. Seine Studie hat Dr. Christian Dernbach 2020 im Journal of Psychiatry & Neuroscience veröffentlicht. Für die Forschung könnte die Teillegalisierung von Cannabis vor allem im Gewinn neuer Proband*innen von Vorteil sein. Denn anders als damals dürfte die Hemmschwelle ab jetzt sehr niedrig sein, sich öffentlich als Konsument von Cannabis zu bekennen.

O-TON 11: „Ich gehe davon aus, dass die Legalisierung noch mal dazu führen wird, dass wir weitaus mehr über den Cannabiskonsum erfahren werden und auch über die Auswirkungen.“

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