Kein Klima für Igel

Kein Klima für Igel - Igel auf Zeitungspapier

Stacheliger Stadtstreuner – der Igel ist einer der liebsten Kulturfolger der Deutschen. Doch der Klimawandel und der Verlust von Lebensraum bedroht die possierlichen Tiere.

Schwer schnaufend, zusammengerollt, die Augen geschlossen, liegt Yuki auf dem Tuch in Tanja Büttners Hand. Unter dem Fell zeichnet sich am Kopf eine dicke Beule ab, das linke Auge ist blutunterlaufen, eine Pfote steht im Winkel zur Seite „Wir vermuten entweder, dass jemand mit dem Fuß drauf gestampft hat - oder es wurde mit ihr Fußball gespielt.“ Tanja Büttner, ehrenamtliche Igel-Päpplerin, ist fassungslos. 

Jetzt ist Igeldame Yuki erst mal in Sicherheit. Doch ob sie es schaffen wird, weiß noch niemand. Als Notfall ist sie am Vortag zu Tanja Büttner in die Päppelstelle gekommen. Kein Einzelfall: Immer öfter muss Tanja Büttner kranke, verletzte und unterernährte Igel versorgen. Bis zu 40 Tiere leben gleichzeitig im Wohnzimmer ihrer Mutter, mit der sie die Igel gemeinsam versorgt. „Solange man zwischen den Käfigen noch zum Fernseher durchkommt, ist es okay“, lacht Büttner. Jetzt sind noch 28 Patienten auf Station.

Doch nicht immer sind es Menschen, die Ihnen zu schaffen machen. Auch der Klimawandel bereitet Erinaceus europaeus, dem Braunbrustigel, der in unseren Parks und Gärten zu Hause ist, Probleme. „Wenn du mal an unseren Sommer zurückdenkst, das war wochenlang trocken. Es gab keine Insekten - und wenn es keine Insekten gibt, dann gibt es nichts zum Fressen.“, erklärt Tanja Büttner. Deshalb sind viele Igel untergewichtig, wenn sie eigentlich in den Winterschlaf gehen sollten. So auch Yuki. 540 Gramm bringt die Igeldame auf die Waage. 700-800 Gramm sollten es mindestens sein. Sonst kann es passieren, dass sie den Winterschlaf nicht übersteht.

Mittlerweile ist Yuki aufgewacht. Der Duft von Drohnenmilch – gekochte und zerstoßene männliche Bienenlarven – hat sie geweckt. Erst langsam, dann immer gieriger schmatzt sie die weiße Pampe aus Tanja Büttners Spritze. Dabei stört es sie auch nicht, dass es rechts und links wieder aus dem Maul herausläuft. „Power pur“, sagt Tanja Büttner – die Bienenlarven stecken voller Protein. Doch das allein reicht nicht: Dazu kommen noch Eier, Katzenfutter und gekochtes Hühnerfleisch. Schließlich sollen Yuki und Ihre Artgenossen schnell zunehmen. Etwa 300€ kostet die Pflege der Igel – im Monat, so Büttner. Futter, Medikamente, Käfige, Material zum Auslegen der Behausungen – das läppert sich. 

Yuki hat fertig gefressen und kann zurück in ihre Box. Dort liegt sie jetzt schnaufend unter einer Decke. Zeit, die weniger kritischen Kandidaten zu versorgen. Jeder von ihnen bekommt ein Tellerchen mit Futter. Dazu Fencheltee mit Honig: „Für die Verdauung“, erklärt Tanja Büttner.

Bis zu sieben Stunden am Tag verbringt ihre Mutter Brigitte Weber damit, für die Igel zu kochen, zu servieren und wieder abzuräumen. Doch die Gäste im Hause Weber trauen sich noch nicht aus ihren mit Zeitung ausgepolsterten Verstecken. Knapp fünf Minuten nach dem Servieren ertönt dann ein erstes Schnuppern, dann folgt Rascheln von Papier, dann genüssliches Schmatzen. Igel sind keine leisen Tiere. Müssen sie auch nicht sein: Ihr Körper ist mit über 5000 Stacheln aus verhorntem Haar gespickt. Daher haben sie kaum natürliche Feinde – vom Auto mal abgesehen. Etwa 500.000 Igel kommen jedes Jahr im Straßenverkehr um. 

Verschärft wird das durch den immer kleiner werdenden Lebensraum. Igel brauchen Abwechslung: Hecken, Wiesen, Waldränder. Die ständig größer werdenden Monokulturen werden Ihnen so zum Verhängnis. Sie müssen zunehmend weitere Wege zurücklegen und dabei immer mehr Straßen passieren. Durchschnittlich zwölf pro Nacht. 

Es ist Abend geworden bei Tanja Büttners Igeln. Zeit für den Kontrollgang im Garten – bei den 15 Igeln, die schon Winterschlaf halten. Der Schnee knirscht unter den Schuhen. Kein Igel zu sehen. „Gut so“ erklärt Büttner. Die Tiere liegen in Ihren Kisten – dick eingepackt in Papier und Stoff. Um den kalten Winter ohne Nahrung zu überstehen, senken sie ihre Körpertemperatur auf nur acht Grad ab, der Herzschlag reduziert sich von 200 Schlägen die Minute auf fünf. „Alles in Ordnung“. 

Jetzt geht es wieder rein. Yuki liegt noch immer genauso da wie zuvor. Tanja Büttner hofft, dass es ihr schnell wieder besser geht. Doch sie weiß, – sie kann nicht allen helfen. Brigitte Weber erklärt „Wenn sie von zehn Igeln acht durchbringen, ist es ein großer Erfolg“. Ein Erfolg, dem sich Tanja Büttner verpflichtet fühlt: „Wäre die Natur noch in Ordnung, müssten wir keine Wildtiere päppeln. Aber wir greifen so sehr in die Natur ein. Würden wir wenigstens ein kleines Stück im Garten wild lassen, müssten wir das hier vielleicht gar nicht machen“.

Kein Klima für Igel: Igel in Handtuch gewickelt

Unser Musik-Mix

magnifiercrossmenuchevron-down