Von den sonnigen Stränden Balis in die grauen Krankenhausfluren in Bangkok. Stellt euch vor, plötzlich seid ihr blind. Wie fühlt es sich an, wenn die Welt um euch herum plötzlich in Dunkelheit versinkt? Carolin Grausam nimmt euch mit auf die bewegende Reise. In ihrem Podcast "Plötzlich blind – wenn die Selbstfindungsphase zum Horrortrip wird", begleitet Carolin die Geschichte von Hanna Hoffmann, die von einem Moment auf den anderen ihr Augenlicht verliert.
Original-Sprachnachricht Hanna: Mama, ich hab irgendwie Angst. Ich krieg seit heute Morgen mein Auge nicht mehr auf und es brennt so höllisch und es tränt die ganze Zeit und wenn ich es auf krieg, dann sehe ich gar nichts auf dem einen Auge. Ich weiß nicht, ob das von der Kontaktlinse kommt, dass die irgendwie verschmutzt war, aber ich hatte noch nie so Schmerzen im Auge. Ich hab keine Ahnung, ich hab richtig Schiss, dass ich blind werde.
Carolin: Stellt euch vor, ihr verliert plötzlich eines der wichtigsten Dinge in eurem Leben - euer Augenlicht. In einem fremden Land, ohne Hilfe, ihr seid komplett auf euch allein gestellt. Genau das ist Hanna Hoffmann passiert. Ich bin Carolin und ich erzähle euch die Geschichte von Hanna. Ich will herausfinden, wie sie ihr Augenlicht verloren hat, welche Ängste sie bis heute durchlebt und mit diesem Schicksalsschlag umgeht.
Max: Plötzlich blind – wenn die Selbstfindungsphase zum Horrortrip wird. Ein Podcast von Carolin Grausam.
Hanna: Naja also, an einem Tag ist noch alles gut und dann wachst du am nächsten auf und plötzlich ist alles schwarz und du siehst nichts mehr. Es war ein Brennen, es war der schlimmste Schmerz, den ich jemals irgendwie gefühlt habe.
Hanna: Hi ich bin Hanna, ich bin 22 Jahre alt, ich studiere Medien und Kommunikation in Ansbach. Arbeite nebenher aber noch als Drehbuch-Autorin für verschiedene Filmfirmen, für verschiedene Bereiche. Ich mache sehr viel Sport, aber letztendlich beläuft sich sehr viel wieder auf die Arbeit zurück. Ja es war irgendwie komisch, dann plötzlich blind zu werden, weil es ist ja irgendwie doch das, was meinen Job auch irgendwie ausmacht. Ich meine ich möchte Filme später machen und das ist irgendwie mein Werkzeug mit dem ich arbeiten muss, ich muss Sachen sehen, ich muss Sachen einschätzen können, und wenn das dir plötzlich genommen wird, ist quasi das genommen, was irgendwie meinen ganzen Job ausmacht.
Carolin: Ich treffe Hanna in ihrer WG. Ein großer Altbau, mit rosa Fassade und weißen Balkongeländern. Es erinnert mit alles an ein Pipi Langstrumpfhaus.
Carolin: Hi!
Hanna: Komm rein!
Carolin: Dankeschön, ich folg dir einfach mal unauffällig.
Hanna: Ja, es ist im ersten Stock.
Hanna: Komm rein.
Carolin: Ah ja, vielen Dank.
Carolin: Hanna hat ein zurückhaltendes Lächeln auf ihren Lippen als sie mich begrüßt. Ihre langen, dunkel-blonden Haare gehen fast bis zu ihrer Hüfte. Sie trägt ein kurzes Satinkleid in rosa und ein weißes Hemd hängt locker über ihren Schultern.
Carolin: Ja wir sind jetzt hier in deinem Zimmer. Ich sehe auf jeden Fall zwei große Kleiderstangen mit vielen Klamotten. Würdest du sagen du bist ein modebewusster Mensch?
Hanna: Ja doch würde ich schon behaupten, ich versuch irgendwie so meine Gefühle oder vielleicht auch meinen Charakter durch meine Mode irgendwie auszudrücken.
Carolin: Sehr cool, und hier auch an der Wand rechts, sehe ich ganz viele Bücher gestapelt, du liest wahrscheinlich auch gerne oder?
Hanna: Ja gerne und auch sehr viel, ich glaub aber auch, das ist irgendwie Part von meinem Job.
Carolin: Es sollte der Sommer ihres Lebens werden: Doch dann kam alles anders. Im Juni 2022 verändert sich das Leben von Hanna Hoffmann. Sie ist zu diesem Zeitpunkt 20 Jahre alt und erfüllt sich ihren Lebenstraum: eine Weltreise.
In der dritten Woche der Reise befindet sie sich auf der indonesischen Insel Bali. Am Morgen entscheidet sich Hanna mit Freunden surfen zu gehen. Ein wunderschöner, heißer Sommertag. Türkisblaues Meer und ausgelassene Stimmung. Nachdem sie aus dem Wasser kommt, passiert es: ihr rechtes Auge, auf dem sie eine Kontaktlinse trägt, fängt an zu brennen und stark zu schmerzen. Für Hanna kein Grund den Tag zu beenden. Sie entscheidet sich dafür, mit ihren Freunden bis in die Nacht und die frühen Morgenstunden zu feiern und beachtet ihr Auge kaum. Doch der erste Blick in den Spiegel ändert alles.
Hanna: Also ich bin erst am nächsten Morgen wieder heimgekommen, weil ich bei einem Freund übernachtet habe. Und habe in dieser Nacht die Kontaktlinse nicht rausgenommen. Und habe abends gemerkt, dass es immer schlimmer wurde, dass ich nichts mehr sehen konnte, dass es einfach nur noch gebrannt hat und habe dann die Besitzer dort nach Schwarztee gefragt. Hab das ganz normal versucht mit Schwarztee irgendwie rauszuwaschen. Hab bis dato aber nicht wirklich in den Spiegel geschaut hab muss ich sagen und als ich dann wirklich mal in den Spiegel geschaut habe, bin ich, also ich konnte es irgendwie nicht fassen. Es war ganz surreal dieser Moment, weil plötzlich hatte ich ein weißes Auge. Es war wirklich komplett weiß und ich bin ein Mensch, der das erstmal nicht so ernst nimmt. Deshalb hab ich erstmal ein Video gemacht und hab noch so aus Spaß meinen Freunde das geschickt und hab so gesagt ey, ich wollt schon immer zwei verschiedenen Augenfarben haben und fand das witzig und hab das gar nicht realisiert was das bedeuten könnte.
Carolin: Zu diesem Zeitpunkt ist Hanna in ihrem Zimmer in einem kleinen Hostel, gelegen in Uluwatu, einem kleinen Dorf auf Bali.
O-Ton aus dem Video: „Warte, siehst du das, es ist einfach weiß. Peace“
Hanna: Oh Gott, es ist voll erschreckend das zu sehen. Das war ja richtig weiß. Das fühlt sich an wie vor tausend Jahren und doch irgendwie als wäre es gestern gewesen, und ich kann mich noch, ich find man hört es auch, es ist schon eine panische Lache auch irgendwo. Wild, ja da habe ich es noch sehr mit Humor genommen und dachte wirklich das geht die nächsten Tage wieder weg und dachte das ist irgendwie Eiter oder so.
Hanna: Ja, es war mitten in der Nacht. An der Rezeption war keiner mehr und ich war am Arsch der Welt, also ich konnte nirgends wo hin. Ich konnte nicht laufen, ich konnte nirgends hin, ich hab ja auch nichts gesehen und hab ein Taxi-Unternehmen angerufen, es hat niemand abgenommen. Es hat niemand irgendwie reagiert, weil es einfach zu spät war. Und dann hab ich hinter der Rezeption einen Schlüsselkasten gesehen und dachte mir so, das ist mein Weg, ich kann nicht hier bleiben, ich halte das nicht mehr aus, ich muss was unternehmen. Hab dann einfach einen Schlüssel davon geklaut, bin auf den Parkplatz gegangen und hab geguckt welcher Roller mit dem Schlüssel aufgeht und hab gar nicht weiter drüber nachgedacht, und bin dann, lass mich lügen, 40 Minuten oder fast eine Stunde in die Hauptstadt zurückgefahren. Linksverkehr, mit einem Auge, vor allem in der Nacht. Die ganzen entgegenkommenden Fahrzeuge, es hat wahnsinnig geblendet ich hab fast nichts gesehen, aber ich war so in meinem Adrenalin-Ding drin, dass ich wirklich das gar nicht realisiert habe wie krass das eigentlich ist, was ich gerade mache.
Carolin: Hanna fährt 30 Kilometer von Uluwatu bis Denpasar in das nächstgelegene Krankenhaus. Allein und blind auf dem rechten Auge.
Hanna: Ich war dann in der Notaufnahme und es war sehr unterbesetzt, es war kaum jemand da, man hat mich auf eine Liege gelegt aber mich da auch erstmal liegen gelassen, weil man nicht so wirklich wusste, was da jetzt war. Sie waren sehr ratlos alle und haben dann versucht irgendwelche Spezialisten anzurufen und da wurde mir erstmal so bewusst, dass es doch vielleicht gar nicht so harmlos ist, was ich da habe. Und dann wurde ich da tatsächlich da erstmal ein paar Stunden liegengelassen, immer mal wieder kam jemand und hat Antibiotika reingetropft, aber mir wurde gesagt sie können nichts machen ohne Spezialist. Ich sollte am nächsten Tag nochmal kommen. Und bis dahin könne sie nichts machen, weil sie keine Ahnung haben, wie sie das behandeln sollen.
Carolin: Nach dieser ersten Diagnose wird Hanna wird mit einer Augenklappe und einer Packung Antibiotika wieder nach Hause geschickt.
Hanna: Ich hatte ja theoretisch auch gar keine Ansprechpartner. Außer eben diese Gruppe, die ich einen Tag vorher kennengelernt hatte. Das waren drei Australier. Ich hatte in der Nacht nach dem Club mit dem einen was, also hab mit ihm geschlafen und es hieß dann am nächsten Tag, diese Blindheit könnte von einer übertragbaren Geschlechtskrankheit kommen. Und da ist erstmal der Boden unter mir, also es war einfach verrückt. Ich dachte mir so: „Oh Gott dieser Idiot oder ich Idiotin habe mir jetzt einfach von einfach so einem random Typen jetzt was eingefangen und kann wegen diesem Arschloch nichts mehr sehen. Aber hat sich ja dann auch schnell rausgestellt, dass das die falsche Fährte war.
Also es war auf jeden Fall so der Punkt, dass ich nicht eingestehen wollte, dass ich meine Reise so nicht weiterführen konnte, wenn jetzt wirklich was, wenn es wirklich so groß ist wie die alle sagen, deswegen hab ich sehr viel verdrängt und sehr viel nach hinten geschoben. Ich wollte aber auch dieses „Ich schaff das alles alleine, ich geh alleine auf Weltreise, dann krieg ich das jetzt alles alleine fertig“, das wollte ich irgendwie auch durchziehen.
Carolin: Und genau das macht Hanna. Sie setzt ihre Reise trotz anhaltender Schmerzen weiter fort. Ihr nächstes Ziel: Koh Samui. Auf der thailändischen Insel muss sie erneut ins Krankenhaus, der Zustand ihres Auges wird immer schlechter.
Original-Sprachnachricht Hanna: „Jo ich wird gleich vom Hubschrauber abgeholt, kleines Update, und werde nach Bangkok geflogen, weil ich zum Spezialisten muss. Ich glaub ich unterschätz die ganze Zeit meinen gesundheitlichen Zustand so, weil ich irgendwie kaputt im Kopf bin. Ich glaub es ist ziemlich schwerwiegend hier, ich könnt kotzen.
Carolin: Die Ärzte in Bangkok konfrontieren Hanna mit der eindeutigen Diagnose.
Hanna: Dieser Tag an dem mir dann tatsächlich gesagt wurde, was Sache ist, war so mit unter der schlimmste Tag meines Lebens würd ich so sagen. Rein emotional, vielleicht aber auch rein faktisch. Also es hat sich alles gewendet. Ich hatte jeden Morgen so routinemäßig so eine Untersuchung von einer Spezialistin, um mal zu gucken ob sich diese Entzündung zurückentwickelt hat, ob sich da irgendwas bessert und es hat langsam gedrängt, mein Flug in die Türkei stand an und ich meinte so ganz schnippisch, ganz naiv, „Ja kann ich jetzt eigentlich in die Türkei fliegen ich würde das schon ganz gern antreten“, und diese Ärztin guckt mich an, ganz geschockt und ganz vorwurfsvoll und meinte so: „Äh hören sie mal, sie werden nie wieder sehen können, wir müssen das jetzt, sie brauchen auf jeden Fall eine Transplantation, das wird nicht mehr gut“.
Carolin: Hanna gehen in diesem Moment unzählige Gedanken und Fragen durch den Kopf.
Hanna: Es ist ganz schwierig zu beschreiben, was ich da gefühlt habe. Mir wurde der Boden unter den Füßen weggezogen. Ich habe bis dahin kein einziges Mal geweint, ich war bis dahin immer cool und war immer zuversichtlich, dass das wieder wird und ab da ist meine Welt zusammengebrochen. Ich saß in einem Rollstuhl, weil die fahren einen immer im Rollstuhl rum, und ich hab angefangen zu zittern. Ich hab geweint und hatte keine Kraft, also mir sind jegliche Kräfte irgendwie entwichen, ich konnte nicht mehr denken, ich konnte nicht mehr, es war alles einfach weg, ich war wie im Leeren. Es ist alles irgendwie zusammengebrochen. Weil es war halt mein Auge und einem fällt immer erst auf, wie wichtig so etwas oder wie notwendig so etwas ist, wenn es weg ist. Meine Sehkraft war weg und jetzt stand halt auch fest, dass sie für immer wegbleiben wird.
Carolin: Zu diesem Zeitpunkt hat Hanna die erste Panikattacke ihres Lebens.
Hanna: Es war wie so ein Schwächeanfall. Mein Mittagessen, stand da und ich hab wie manisch angefangen dann was davon zu essen aber hab das alles verschüttet und alles ist auf den Boden gefallen. Es war sehr filmartig, ich konnte nichts bei mir behalten, ich konnte nicht aufstehen, jedes Mal wenn ich versucht habe aufzustehen, das ist bei mir dann auch so, ich wollte mir irgendwie beweisen, dass ich die Kraft dazu habe, ging nicht, bin zusammengeklappt und dann war das dann der erste Punkt, wo ich dachte jetzt muss ich das mal jemanden sagen und muss mal nach Hause irgendwie Kontakt aufnehmen. Dann hab ich versucht meine Schwester anzurufen, die hat nicht abgenommen. Hab dann als nächstes an meine gute Freundin Hanna gedacht weil ich einfach dachte, mit der hatte ich davor schon ein bisschen drüber geredet. Das war die einzige, bei der ich dachte, da bekomm ich vielleicht Verständnis, weil ich wollte einfach jemand der mir sagt, dass alles gut wird, ich wollte diese Worte hören, dass alles gut wird, weil bisher hab ich mir das immer selber eingeredet aber der Glaube war an dem Punkt einfach verloren.
Carolin: Nachdem Hanna die Diagnose von den Ärzten aus Bangkok erhält, muss sie sich die traurige Wahrheit eingestehen. Die 22-Jährige muss ihre Weltreise abbrechen und nach Deutschland fliegen. Nur hier können die Ärzte in der Tübinger Augenklinik sie behandeln.
Hanna: Die Entscheidung, dass ich dann wirklich meine Weltreise abbreche und nach Hause fliege, und mich behandeln lasse, die war bisher immer so richtig abwegig und die war für mich gar keine Option und ich wollte auf jeden Fall weiter in die Türkei und hab das mir auch vielleicht damit alles gut geredet und nach diesem Arzt-Gespräch war für mich klar ich muss heim. Einerseits wegen dieser Panik Attacke, anderseits wegen der Realisation wie krass das hier alles ist und, ja man hat ja auf jeden Fall gemerkt, dass eine sprachliche Barriere da war, weil sonst hätte ich ja nicht wochenlang gedacht, dass das wieder weg geht, sondern dann hätten die mir ja von Anfang an irgendwie richtig übermittelt, dass es nie wieder weg geht und dass sie Angst haben, dass mein Auge ausläuft und dass es etwas ist, was sie davor noch nie gesehen haben und dass es wirklich so krass ist, wie es dann jetzt im Endeffekt rausgekommen ist.
Hanna: „(…) I sit here quietly
trying to figure out
the impact it has on me
when inner voices are so loud.
I put my glasses on
ignoring my own mind
but how can you sense
that something is wrong
when you`re from now-on blind.“
Hanna: Das Gedicht hab ich geschrieben, ein Tag nach der Diagnose. Das war bei mir schon immer so, wenn Emotionen so groß sind, dass ich irgendwie einen Weg brauche, das irgendwie auszudrücken hab ich immer Gedichte geschrieben, weil ich damit irgendwie am besten ausdrücken kann was sich fühle und was in mir vorgeht. Einfach das nur in mein Tagebuch zu schreiben. Jedes Mal wenn ich das Gedicht wieder lese, kann ich mich genau in die Situation zurückversetzen und weiß genau was ich in diesem Moment gefühlt habe.
Carolin: Jeder hat sich bestimmt schon einmal die Frage gestellt: Kann mir das auch passieren? Plötzlich ändert sich das Leben vom einem auf den anderen Tag und man kann nichts dagegen tun und muss mit der neuen Situation klarkommen.
Hanna: Natürlich stellt man sich hier oder da dann die Frage, warum genau ich, warum genau zu diesem Moment, warum, was meint das Schicksal mit mir? Vielleicht wenn man religiös denkt, was hat Gott mit mir vor, also warum, was hab ich falsch gemacht dass mich das trifft und vor allem immer wieder trifft oder so hart trifft? Und ich hab mir da lange Gedanken drüber gemacht, was das zu bedeuten hat und ich glaube das kann einen nur, vielleicht auch depressiv machen wenn man zu arg darüber nachdenkt, was jetzt der Grund dafür ist, dass das einen trifft. Ich für mich kam zu dem Schluss, dass es jedem passieren kann, dass jeder immer mit Schicksalsschlägen konfrontiert ist. Einer härter, einer irgendwie weniger hart vielleicht aber jeder hat sein Päckchen irgendwie zu tragen. Und das sind meine Päckchen, die ich tragen muss. Ich sehe das so, ich bin ein Mensch der sehr viel ab kann, ich bin ein Mensch, der vielleicht gar nicht so emotional ist und der gut weiterleben kann mit so Sachen. Und ich seh das so, dass lieber trifft mich so was und ich kann damit umgehen und ich mach da das Beste draus als jemand der damit überhaupt nicht zurechtkommen würde.
Carolin: Inzwischen sieht Hanna wieder zu 60% auf ihrem rechten Auge. Am 20. Juni 2023 steht ein Vorbereitungsgespräch in der Augenklinik in Tübingen an. Alle sechs Monate muss Hannas Auge kontrolliert werden. Doch heute ist ein besonderer Tag: Hanna will den nächsten Schritt gehen und sich auf eine Hornhaut-Transplantation vorbereiten lassen.
Arzt: „Man sieht die Hornhaut ist zentral relativ dünn, aber das ist alles ein stabiler Befund. Wichtig ist die Kontrolle. Eine Laserung zu machen bei diesem Befund ist eher kontraproduktiv. Es bringt eher nichts. Die Hornhaut wird noch dünner, zwar nicht viel, aber es wird dünner und aktuell sind wir tatsächlich auf dem Weg der Besserung, also es wird eher besser.
Hanna: Aber ist die Chance überhaupt da, dass es noch besser wird?
Arzt: Es kann noch besser werden, es geht, aber es wird nicht so werden wie das Partnerauge.
Hanna: Ok, das hab ich eh schon aufgegeben.
Arzt: Und jetzt mit den formstabilen Kontaktlinsen, da muss man gewissen Kriterien erfüllen, dass man die verschrieben bekommt.Das ist bei ihnen nicht der Fall.
Hanna: Schade.
Arzt: Die Hornhaut ist nicht so steil, dass man das verschreibt. Wichtig letztendlich ist, folgendes, dass man das kontrolliert, und da würde ich einen Termin ausmachen. Sie sind ja gelistet für eine Hornhautransplantation, ich würde sie erstmal gelistet lassen.
Hanna: Gelistet heißt was?
Arzt: Sie sind auf der Warteliste und da rutschen sie immer weiter hoch und irgendwann werden sie angerufen und ja jetzt gibt es ein Transplantat, was für sie denkbar wäre. Und dann können sie immer noch entscheiden nehme ich das oder nehme ich das nicht und so rutschen sie immer weiter hoch.
Hanna: Kann man mittlerweile eigentlich sagen, woher es genau kam, ne oder, immer noch nicht?
Arzt: Ne, man weiß, dass es mit der Kontaktlinse zusammenhängt. Es ist ein Keim, der das Ganze verursacht, den muss man dann behandeln und je nachdem, wie viel zurückbleibt, muss man dann schauen, wie es weiter geht.
Hanna: Und würden sie jetzt momentan vorschlagen zu transplantieren oder eher nicht?
Arzt: Eher nicht, aktuell wäre ich zurückhaltend. Wir lassen sie aber auf der Liste. Und sie können auch gleich einen Termin in sechs Monaten vereinbaren oben.
Hanna: Das ist dann alles nicht so gelaufen wie ich das irgendwie geplant hatte oder gewünscht hätte. Ich dachte ich geh da hin und bekomm meinen OP-Termin und dann ist alles gut und ich habe eine Aussicht auf meine Sicht wieder, aber das war nicht so. Es war sehr ernüchternd dort zu sein, weil es wurde halt gesagt, mein Auge, man ist einerseits froh, dass es wieder so gut geworden ist, dass ich 60 Prozent sehen kann, das hätte man nie gemacht. Es ist zu gut, diese Transplantation durchzuführen, weil das vielleicht eher kontraproduktiv ist und vielleicht eher verschlechtert wird, wenn ich transplantiert werde. Und auf der anderen Seite ist es zu schlecht für eine Laser-Behandlung, ich stehe zwischen zwei Stühlen mittendrin und kann von keinen Seiten irgendwelche Hilfe entgegennehmen. Das heißt es bleibt einfach eins zu eins so wie es jetzt gerade ist und das ist sehr krass und ich weiß überhaupt nicht, wie ich damit umgehen soll. Weil das war halt irgendwie so ein guter Ausblick. Bald werde ich operiert, dann ist das wieder weg und das ist wieder nicht so, es ist wieder so, ne du bleibst vielleicht einfach diese 40 bis 50 Prozent blind auf diesem Auge. Das wär ja nicht mal so schlimm, wenn man das irgendwie beheben könnte, es ist halt so als hätte man ständig eine Milchglasscheibe vor dem Gesicht, als würde man ständig einfach verschwommen sehen. Als wäre alles blurry, sag ich mal, als wäre alles irgendwie verschwommen, alles milchig und man kann nicht richtig fokussieren und ich kann nur auf einem Auge gut sehen. Es ist schwer damit umzugehen, dass man weiß oder nicht weiß was man machen kann.
Carolin: Hanna sitzt im Schneidersitz auf ihrem Bett. Es nimmt den größten Teil in dem 10-Quadrat-Meter-Raum ein. Ihr bevorzugter Arbeitsplatz. An ihrer Zimmertür sehe ich einen Notizzettel mit der Überschrift „To Do“. Ich hätte Stichpunkte erwartet wie „einkaufen“ oder „lernen“, stattdessen lese ich „Anruf Netflix, Meeting ARD, Pitch ZDF“.
Carolin: Ja hier steht jetzt auch schon dein Laptop schon neben dir, ich sehe du bist die ganze Zeit nebenher am Durchscrollen ein bisschen, was machst du da jetzt genau gerade?
Hanna: Also gerade muss ich eine weitere Person, quasi zu dieser ganzen Geschichte hinzufügen, die es davor noch nicht gab, das heißt ich muss das ganze Skript durchgehen und entscheiden, wo füge ich ihn ein, wo gibt es gewisse Überschneidungen, wo der jetzt stattfinden kann und wo nicht, welche Sätze kann er übernehmen, und so, das ist was ich gerade mache.
Hanna: Ich war schon immer ein sehr kreativer Mensch. Der immer versucht hat, seine Emotionen irgendwie auszurücken. Ich hab Bücher geschrieben, Gedichte geschrieben, Musik gemacht, getanzt, gemalt. Und Film war dann tatsächlich so was, was alles kombiniert hat. Und als dann nach dem Abi die Frage kam, was machst du, war das sehr naheliegend, dass das dann in die Filmbranche geht. Hab dann da meine Praktika gemacht und mir wurde schnell gezeigt, dass ich sehr gut bin indem was ich mache. Und plötzlich bekommt man einen Anruf von Til Schweiger, der sagt der möchte mit einem arbeiten, plötzlich bekommt man eine Einladung zur Berlinale und kriegt dann so seine Möglichkeiten, irgendwie sich noch mehr unter Beweis zu stellen.
Carolin: Hanna hat sich zurück ins Leben gekämpft. Eine Weltreise, die zum größten Erlebnis ihres Lebens werden sollte, hat alles verändert. Sie ist ihrem Traum weiterhin nachgegangen und befindet sich derzeit auf dem Höhepunkt ihrer jungen Karriere. Durch die Transplantation einer Hornhaut hat sie sich erhofft bald wieder vollständig sehen zu können und ihr Auge wieder zu ihrem Werkzeug zu machen. Auch wenn die Ärzte Hanna aktuell von einer Transplantation abraten, steht sie weiterhin auf der Warteliste. Die Ärzte wissen nicht, ob ihr Auge irgendwann für eine Transplantation geeignet ist, jetzt heißt es abwarten. Und wer weiß – vielleicht hat das Schicksal bald schon einen neuen Plan für Hanna.
Hanna: Im Endeffekt würde ich jetzt sagen, dass dieses Erlebnis, auch wenn es kein schönes war, mich am Ende nur bereichert hat. Es hat mir gezeigt wie schnell was, was man für selbstverständlich nimmt, einfach weg sein kann, es hat mir gezeigt, vor allem auch wie selbständig ich bin, wie stolz ich auf mich sein kann, dass alles hingekriegt zu haben, alleine. Aber auch, dass es ok ist sich Hilfe zu holen, wenn es dann nicht mehr funktioniert. Tatsächlich würde ich dieses ganze Erlebnis, so schlimm es für andere klingen mag, keineswegs negativ sehen, es hat mich wirklich nur, ich bin dadurch so ein starker Mensch geworden.
Vielleicht nehme ich diese ganze Geschichte als Grundlage dafür, ein cooles Drehbuch zu schreiben oder eine coole Biographie und allein dafür hat es sich dann ja gelohnt, diesen ganzen Leidensweg durchzugehen.
Max: Plötzlich blind – wenn die Selbstfindungsphase zum Horrortrip wird.Das war ein Podcast von Carolin Grausam.