Auf den Spuren der Polizeigewalt

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Die immer wieder medial dargebotene Eskalation von Polizeigewalt fordert eine intensive Beschäftigung mit dem Themenkomplex. Kathrin Brunner ergründe deshalb das facettenreiche Thema Polizeigewalt in ihrem Podcast. Dabei lässt sie alle Seiten zu Wort kommen und gibt euch mehr Klarheit über das emotional aufgeladenes Thema.

Kathrin: Eine Triggerwarnung: Der folgende Beitrag thematisiert Gewalt und sexuelle Gewalt. Zum Schutz der Personen habe ich teilweise nur Vornamen genannt. Die Geräuschkulisse der Räumung von Lützerath im Januar 2023. In zahlreichen Videos sieht man Polizisten mit Schlagstöcken auf Demonstrierende einschlagen. Das aggressive Vorgehen der Polizei schockierte.

Polizist: Jetzt sofort - Ansonsten werde ich Ihnen Schmerz zufügen… Schreie des Aktivisten

Kathrin: Ein Polizist zwingt einen Klimaaktivisten zur Auflösung einer Sitzblockade. Das dazugehörige Video ist auf verschiedenen Plattformen viral gegangen. Immer wieder tauchen neue Nachrichten und Videos auf: Lützerath, eine wortwörtliche Schlammschlacht zwischen Demonstrierenden und Polizei. Die gewaltvollen Auflösungen von Klimaprotesten. Im August 2022 geht die Meldung um, dass ein mit einem Messer bewaffneter 16-Jähriger durch fünf Schüsse aus einer Maschinenpistole der Polizei getötet wurde. Die Liste solcher Ereignisse ist lang - Zeit, tiefer in die Thematik einzutauchen.

Mein Name ist Kathrin Brunner und in diesem Podcast geht es um Polizeigewalt.

Umfrage/ Person1: Mit der Polizei hatte ich bis jetzt eigentlich gar keine schlechten Erfahrungen. Für mich sind sie sprichwörtlich der Freund und Helfer in Not. Also wenn ich sie tatsächlich mal gebraucht habe, waren sie eigentlich auch immer zur Stelle und haben so gut es geht halt geholfen…

Umfrage/Person2: Ich bin immer ganz gut mit der Polizei zurecht gekommen. Es hat sich in den letzten 40 Jahren bewährt, wenn man zwar höflich, aber nicht unterwürfig oder kumpelhaft ist.

Umfrage/Person3: Also ich hatte bisher zum Glück ausschließlich positive Erfahrungen mit der Polizei…

Umfrage/Person4: Ich hab überhaupt keine schlechten Erfahrungen mit der Polizei gemacht… Generell gibt mir die Polizei eigentlich ein gutes Gefühl!

Kathrin: Es sind aber durchaus auch gemischte bis negative Erfahrungen dabei:

Umfrage/Person5: Ich werde schon relativ oft angehalten und wenn das dann passiert, dann hab ich schon so ein unwohliges Gefühl dabei…

Umfrage/Person6: Ich hab unterschiedliche Erfahrungen mit der Polizei gemacht, zum einen musste ich bei einer Verkehrskontrolle meinen Kofferraum voller Getränkekisten nicht ausräumen, damit ich ans Warndreieck komme. Und andererseits wurde mir allerdings schon öfter unterstellt, da ich ne Fehlbildung am Auge habe, was einfach die Pupille so groß aussehen lässt, dass ich doch Drogen konsumieren würde und die bestimmt auch verkaufe - weil wie könnte man sich als Student sonst so ein neues Handy leisten…

Umfrage/Person7: Ein Freund von mir, der Migrationshintergrund hat, wird ständig ohne Anlass kontrolliert. Zum Teil wenn er einfach nur zu Fuß unterwegs ist. Und einmal ist die Polizei sogar während er in einer Fußgängerzone zum Einkaufen war, mit ihrem Wagen vor ihn gefahren, als wäre er ein gesuchter Verbrecher - nur um ne Taschenkontrolle bei ihm durchzuführen.

Kathrin: Diese - zugegeben sehr kleine - Stichprobe zeigt: Die Polizei ist mal als Helfer zur Stelle, scheint aber auch immer wieder mal Grenzen zu überschreiten - zumindest aus Sicht der Betroffenen. Mir fällt auf: Ich habe eigentlich keine Ahnung, wann die Polizei was machen darf. Dürfen die Leute einfach festhalten? Kann ich jederzeit angehalten und kontrolliert werden? Wann haben Polizisten eigentlich das Recht mir Gewalt anzutun? Und wann dürfen sie Schmerzen zufügen? Oder sogar töten? Genau das möchte ich in diesem Podcast herausfinden. Dafür spreche ich mit der Polizei, Fachanwälten für Strafrecht und vor allem mit Opfern von Polizeigewalt. Und da gibt es einiges einzuordnen…

O-Ton Montage:

“Darf ich mich wieder anziehen? - Ne du drehst dich jetzt um und du bückst dich!”

“Und ich bin in die Wohnung zurück…und ich hatte ne Panikattacke."

Sprecher: Was ist Polizeigewalt?

Kathrin: Starten wir von vorne - Was genau ist eigentlich  Polizeigewalt?

Sprecher: Polizeigewalt ist die physische und psychische Gewalt, die durch Polizisten ausgeführt wird.

Kathrin: Sie ist pauschal nicht verboten. Es gilt die Maßgabe der Verhältnismäßigkeit. Das bedeutet, dass die Polizei unter bestimmten Voraussetzungen auch physische Gewalt anwenden darf. So sagt es das Gesetz über den ummittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes - kurz UZwG. Das wirft bei mir einige Fragen auf: Welche Voraussetzungen denn? Was genau ist verhältnismäßig? Was ist denn dann erlaubt und was nicht?
Hier wird viel mit Begriffen um sich geworfen. Man spricht von illegitimer Polizeigewalt, unverhältnismäßiger Polizeigewalt oder auch unberechtigter Polizeigewalt. Einigen wir uns für diesen Podcast auf unverhältnismäßige und verhältnismäßige Polizeigewalt. Verhältnismäßige Polizeigewalt klingt schon etwas paradox. Die Polizei verwendet hier andere Begriffe, wie mir Robert Sandmann, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mittelfranken erklärt

Sandmann: Wir reden eigentlich mehr von unmittelbaren Zwang, weil der Idealzustand wäre natürlich eine Maßnahme der Polizei, die ohne jeglichen Zwang abläuft. Das ist schon mal der Grundtatbestand, der eigentlich das oberste Ziel jeder Maßnahme sein soll.

Kathrin: Unmittelbarer Zwang also. Und was kann so “unmittelbarer Zwang” alles sein?

Sandmann: Also im Polizeiaufgabengesetz sind die rechtlichen Grundlagen geregelt. Da wird drin benannt, dass es also gewisse Stufen von unmittelbarem Zwang gibt, dass der - wenn möglich - vorher anzukündigen ist. Also ein sehr breites Spektrum an einzusetzenden Möglichkeiten, angefangen von der körperlichen Gewalt, also körperliche Kraft, bis hin zu Einsatzmitteln wie Fesselung durch Handschellen, Einsatz Pfefferspray, Notfalls auch mal der Schlagstock…also das ist ganz klar gestaffelt. Das oberste Prinzip ist immer die Verhältnismäßigkeit. Also der Lage angepasst, eben nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen, um es vereinfacht auszudrücken.

Kathrin: Das Prinzip klingt in der Theorie gut. Leider wird es nicht immer angewendet. Das zeigt sich zum Beispiel an Simons Erfahrungen. Simon ist Teil der Aktivistengruppe Extinction Rebellion. Bei einer Sitzblockade in Berlin wird er in Gewahrsam genommen, nachdem er sich weigert aufzustehen. Er wird in eine Gefangenensammelstelle - kurz GESA - gebracht. Dort soll er identifiziert werden. Per Zoom erzählt er mir von seinen Erfahrungen.

Simon: Ich hatte vorher entschieden, dass ich meine Personalien nicht angeben will, was auch einer der Hauptgründe war, weswegen ich mit in die GESA gebracht wurde - um dort meine Identität feststellen zu lassen. Dann hab ich gesagt `Hey, ich würde gerne telefonieren, mit meinem Rechtsbeistand`. Das habe ich vielfach gesagt und dann bin ich halt reingebracht worden. Aber jedes mal wenn ich gefragt habe - ja "Später, später, vielleicht später".

Kathrin: In Polizeigewahrsam hat jeder Bürger das Recht zu schweigen und Rechtsbeistand zu beantragen. Dieses Recht wird Simon die ersten Stunden verwehrt. Er ist kein Einzelfall, wie mir Ralf Peisl, Fachanwalt für Strafrecht, erklärt.

Peisl: Wenn ich jetzt festgenommen bin, dann hab ich ein Recht auf Konsultation meines Anwalts. Das hat man zu jedem Verfahrenszeitpunkt, das darf einem auch nicht verwehrt werden - in der Praxis wirds den Leuten regelmäßig ewig lang verwehrt. Also kommuniziert wirds eher in `Du kriegst jetzt keinen Anwalt!

Kathrin: Oft wird beispielsweise behauptet, die Telefonanlage sei ausgefallen. Simon soll nun also, ohne vorher mit einem Anwalt gesprochen zu habe in den Identifikationsraum gebracht werden. Bisher hat er sich passiv gesperrt, auch “Päckchen machen” genannt, bei dem er zusammengerollt Arme und Beine an seinen Körper presst. Den Beamten scheint langsam die Geduld auszugehen.

Simon: Zwei sind so rein und haben mich so halb an einem Arm und auch da schon an meinen Haaren in den Flur geschleift. Dann lag ich im Gang und habe versucht, mich wieder in mein Päckchen zu machen, weil es hat auch wehgetan und da hab ich losgelassen. Und ein anderer Kollege kam mit so nem Wagen und nem Brett. Damit sind sie dann erstmal in mich reingefahren. Dann wurde ich an meinen Haaren wieder auf das Ding gezogen, so schön über die Kante, das war in etwa 20 Zentimeter hoch. Und ich war schon ganz schön geschockt, wie rabiat die mich da an meinen Haaren hochheben. Und lag da erstmal oben drauf und war so "What the fuck geht hier ab".

Kathrin: Auf dem Wagen wird Simon in den Identifikationsraum gebracht. Als er sich dort durch passive Sperrung weiterhin einer Identifikation in Form von Fingerabdrücken verweigert, eskaliert die Situation.

Simon: Dann wurde ich wieder an den Haaren, dieses Mal nur an den Haaren vom Wagen runtergezogen. Dann lag ich da auf dem Boden, hab mich auf den Bauch gedreht, so dass meine Arme unter mir lagen. Und dann haben sie halt verschiedene Schmerzgriffe angewendet. Sie haben mir in den Kiefer gedrückt, sie haben mir von hinten so kleine Büschel Haare rausgerissen, so zack - immer wieder. Haben mir in die Schulter gedrückt. Haben mir - einfach mit der normalen glatten Faust neben oder auf die Wirbelsäule geschlagen, aufn Hinterkopf geschlagen. Irgendwann, so grob in der Mitte, haben sie angefangen mir ins Auge zu drücken. Das war für mich so das schmerzhafteste, wo ich gedacht habe `Wow fuck, das halt ich nicht aus!`  Dann habe ich geschrien und sie haben meines Erachtens dann noch stärker zugeschlagen…und mich angeschrien, ich soll aufhören zu schreien.

Kathrin: Nach verhältnissmäßigen Maßnahmen hört sich Simons Erlebnis nicht an - für mich als “Laien” wirkt das fast wie Folter. Ich will es aber genauer wissen und frage die beiden Fachanwälte für Strafrecht Sandra Rothschild und Ralf Peisl nach einer juristischen Einschätzung. Beiden ist es wichtig zu betonen, dass sie ohne Aktenkenntnis natürlich keine einschlägigen juristischen Feststellungen machen können - das sei nun allgemein für diesen Beitrag festgehalten. Ralf Peisl gibt seine Einschätzung zu Simons Erlebnissen.

Peisl: Das sind diese Fälle, wo du als Anwalt dir denkst so - Ich glaub diesem Mandanten, aber ich weiß auch, dass wir keine Chance haben werden, weil die in ihrer Trutzburg da veranstalten können, was sie wollen. Das fängt ja schon damit an, wenn man sagt, man wendet einen Schmerzgriff an um jemanden zur Abgabe eines Fingerabdruckes zu zwingen. Erstens mal glaube ich nicht, dass es einen offiziellen Schmerzgriff ins Auge gibt. Die Polizei heißt das ganze schöner und auf einmal wirds zu irgendwelchen Techniken und irgendwelchen Lehrbuchhandlungen. Wenn man jemandem ins Auge langt ist das einfach nur eine Körperverletzung erstmal und nichts anderes. Und die Frage, ob man einen Fingerabdruck in dem Fall erzwingen muss, ist ja noch die nächste. Und ihn da ohne Rechtsbeistand zu lassen, ist eine absolute Katastrophe für einen Rechtsstaat.

Kathrin: Das Trauma dieses Polizeigewahrsams bleibt Simon. Physische Folgen hat er soweit keine. Anders als Lennart. Lennart ist Teil der Aktivistengruppe letzte Generation. Auch hier soll eine Sitzblockade, an der er teilnimmt, durch die Polizei aufgelöst werden. Lennart verweigert sich durch passive Sperrung, wie er mir im Ferninterview erzählt.

Lennart: Da hatte ich eben versucht mich in dieses Päckchen zu setzen, aber da haben sie mir dann sofort die Arme aus den Kniekehlen genommen, an denen ich mich festhalten wollte und hat mir sofort die Handgelenke angelegt, also diesen - ich glaube es heißt Handhebelgriff. Und im Endeffekt dann mich quasi dann an dem von der Straße, weil ich nicht Widerstand geleistet hab, aber eben auch nicht kooperiert habe, sondern dass ich einfach halt gesagt hab: OK, wenn ihr mir wehtut, dann halte ich das aus so lange ich kann. Und in dem Fall hab ichs halt ausgehalten, dass sie mich getragen haben und… genau - da ist dann mein rechtes Handgelenk bei gebrochen.

Kathrin: Lennart wird ebenfalls in eine Gefangenensammelstelle gebracht. Dort verbringt er einige Stunden in einer Zelle - wohlgemerkt: Er hat ein gebrochenes Handgelenk und dementsprechend starke Schmerzen. Ein Polizeibeamter spricht ihn immer wieder an, scheint ein persönliches Problem mit ihm zu haben.

Lennart: Erstmal hat er einfach ganz deutlich klargestellt, was er von unseren Protesten hält. Auch gedroht: Ihr kommt jetzt 30 Tage in den Knast und werdet da vergewaltigt. Er würde mich am liebsten verprügeln bis ich aus allen Löchern blute und das war dann in so ner Situation wo ich schon in der Zelle drin stande. Und er draußen und dann hatte ich ihn gefragt, was er jetzt damit sagen will, weil er irgendwie im gleichen Satz davon gesprochen hat, dass er weiterhin in Urlaub fliegen will. Dann hab ich gefragt, was mit denn jetzt damit sagen will und dann ist er so in die Zelle reingestürmt und hat mich mit sehr viel Wucht irgendwie auf meine Pritsche geschubst. Und ich glaub da hab ich das erste Mal seit langem einfach wieder richtig richtig Angst gespürt.

Kathrin: Ein Fall, der auch Fachanwalt Ralf Peisl mindestens erstaunt. Einen bleibenden Schaden dürfe es durch einen Schmerzgriff nicht geben.

Peisl: Wenn das die Anwendung von unmittelbaren Zwang ist, da gibts auch keine Kollateralschäden oder dergleichen, sowas gibts einfach nicht. Also einen einfach irgendwo sitzenden wegzutragen und ihn mit einer zertrümmerten Hand in die Welt zu entlassen…da wenn der normale Bürger drauf schaut wird er sagen: Ne, erscheint mir einfach nicht richtig. Und dann kann man das durchaus auch ins juristische übertragen und kann sagen: Das ist nicht verhältnismäßig!

Kathrin: Das gebrochene Handgelenk ist ein deutliches Anzeichen für unverhältnismäßige Polizeigewalt. Aber wie steht es um Beleidigungen und Drohungen? Ich frage Sandra Rothschild, ebenfalls Fachanwältin für Strafrecht.

Rothschild: Also auch das ist nach meinem Dafürhalten nicht rechtmäßig. Ich wüsste nicht, mit welcher polizeirechtlichen Grundlage man diese Beleidigungen oder Bedrohungen rechtfertigen sollte. Also an der Stelle: Tausend Redflags und geht überhaupt nicht.

Kathrin: Weder Lennart noch Simon werden rechtliche Schritte einleiten. Sie glauben nicht, dass ihnen ein Gerichtsverfahren etwas bringen könnte. Es fehlen einschlägige Beweise, wie Videoaufnahmen. Leider bestätigen beide Fachanwälte diese Befürchtungen.

Peisl: Also wenn du Betroffener von Polizeigewalt bist, hast du eigentlich keine Chance. Die Fälle werden in der Regel nicht zu Ende geführt. Das liegt insbesondere in Bayern - wage ich zu behaupten - auch daran, dass man die Polizei als integer darstellen möchte.

Kathrin: Auch Sandra Rothschild hat bei beiden Fällen weniger Hoffnung.

Rothschild: Tatsächlich sind das die schwierigen Fälle. Das sind die Fälle, in denen halt nichts dokumentiert ist, in denen vielleicht alleine meine Aussage steht. Und oftmals ist es so, dass die Aussage dann einer Horde von weiteren Aussagen gegenübersteht, alle aus dem Bereich der Polizeibeamten. Also ich habe selten so gut gefüllte Akten, wie in diesen Verfahren, in denen es um vermeintliche Widerstandshandlungen oder tätliche Angriffe geht. Da sind tatsächlich alle, die auch nur in diesen Ermittlungen einen Bleistift gehalten haben, hat man das Gefühl, legen irgendwie ne Zeugenaussage ab. Also das heißt am Ende ist meine einzige Chance, dass man mir glaubt.

Kathrin: Im Rahmen des Forschungsprojektes KviAPol („Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“), sahen etwa 91 % der eventuellen Opfer von Polizeigewalt von einer Anzeige ab. Demnach werden nur etwa 9% aller Polizeigewaltsdelikte angezeigt. Laut dem Statistischen Bundesamts gab es in Deutschland im Jahr 2021 2.790 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamt*innen wegen rechtswidriger Gewaltausübung. Nur zwei Prozent der Fälle kommen vor Gericht, weniger als ein Prozent enden mit einer Verurteilung. Man hat es hier also mit einem enormen Dunkelfeld zu tun.
Während das Thema der physischen Polizeigewalt häufiger medial dargestellt und diskutiert wird, bleibt die psychische Gewalt eher unbeachtet. Ich habe mich mit zwei Frauen unterhalten, die eben diese psychische Gewalt durch Polizist:innen erfahren haben. Ich spreche mit Lisa. Sie hat einen Cousin, der in der Vergangenheit immer wieder kriminell auffällig geworden ist. Mit 10, wird sie von einem Polizisten eindringlich zu ihm befragt. Der Polizist glaubt dem Kind damals nicht, unterstellt ihr, mehr Informationen zu ihrem Cousin zu haben. Ein ähnlicher Vorfall, ein paar Jahre später, beschäftigt sie bis heute. Eine Polizistin und ein Polizist stehen vor ihrer Tür. Sie ist alleine. Der Polizist will wissen, wo ihr Cousin ist.

Lisa: Dann hat er mich angeguckt und gemeint: Du rufst den jetzt an! Dann hab ich gesagt "Ne ich hab seine Nummer nicht" Weil, ich hatte die wirklich nicht. Ich hatte keinen Facebook-Kontakt zu dem und ich hatte auch seine Nummer nicht. Da hat er auch gesagt "Ja, lüg mich jetzt nicht an!" Ich hab gesagt "Ich lüge nicht, ich hab die Nummer nicht." Und er so: "Ja, wenn ich den jetzt nicht anrufe oder jetzt nicht sage, wo der ist, dann nehmen die mich mit auf die Dienstelle. Und ich krieg ne Anzeige." Wofür auch immer. Und dann hab ich gesagt, ich lüge ihn nicht an. Dann hat er gesagt: "Ok, wir bleiben jetzt hier stehen und warten." Und ich bin in die Wohnung zurück und ich hatte ne Panikattacke.

Kathrin: Psychische Gewalt ist statistisch noch schwieriger zu erfassen - die wenigsten erstatten Anzeige. Die Erfahrungen mit der Polizei haben Lisas Leben nachhaltig beeinträchtigt. Sie hat bis heute starke Angst vor der Polizei, jede Verkehrskontrolle ist für sie ein furchtbares Erlebnis. Aber durfte die Polizei das? Darf ein Beamter ein junges Mädchen einschüchtern, um einen Kriminellen zu finden?

Peisel: Das ist wahrscheinlich nicht ganz pauschal zu beantworten, weil die Polizei grundsätzlich sogenannte kriminalistische List anwenden darf, um auch zu ihren Zielen zu gelangen. Soll also heißen, man darf durchaus auch jemanden so ein bisschen anschwindeln, um ihn zum Reden zu bewegen. In dem Fall, den Sie jetzt schildern, ist natürlich so ein bisschen was anderes, weil das ja um einen Verwandten geht und man natürlich ein Aussageverweigerungsrecht schon mal gegenüber dem hätte. Und da ist es natürlich schon ne linke Tour, das so zu unterlaufen, in dem man da in einer Art und Weise droht, die man wahrscheinlich als widerrechtlich bezeichnen muss.

Kathrin: Auch in meinem zweiten Gespräch geht es um Machtmissbrauch seitens der Polizei. Allerdings in einem anderen Zusammenhang. 2019 will Kayla mit Freunden auf das Echelon-Festival gehen, ein Techno-Festival in Bad Aibling. Am Eingang sucht die Gruppe noch nach den Tickets in ihren Taschen.

Kayla: Auf einmal wurden wir so auseinandergerissen. Also einer hat sich bei mir eingehakt. Da hab ich mich losgerissen, wir haben uns angeschaut. Da hieß es auf einmal wieder: "Nichts fallen lassen, Hände geschlossen halten, Zivilpolizei. Mitkommen!

Kathrin: Die Gruppe wird von den Beamten in ein Zelt geführt.

Kayla: Und dann hieß es einfach: Ok, ihr zwei Mädels geht jeweils mit den zwei Polizistinnen mit und der Kollege mit dem Polizist. Uns wurde nicht gesagt, dass jetzt eine Leibesvisitation stattfindet, dass wir uns jetzt ausziehen müssen...warum wir rausgezogen worden sind. Und dann waren wir alle einzeln in den Kabinen, ich war in der Mitte, meine Freunde waren links und rechts von mir. Meine Freundin meinte dann zu mir "Ich will das nicht - Kaya, was passiert hier? Ich will mich nicht ausziehen!" Und dann meinte die Polizistin so ganz stur "Ja, wir können auch auf die Wache gehen, wenn du dich weiterhin so anstellst..." Die ganze Zeit hieß es nur: Stell dich nicht so an!

Kathrin: Ihre Freundin will sich aus religiösen Gründen nicht ausziehen, beginnt zu weinen. Trotzdem ändert sich der Ton der Beamtin nicht.

Kayla: Dann hat meine Polizistin weiter gemacht, sie hat erstmal meine Tasche durchsucht, dann habe ich mich ausgezogen. Hat aber währenddessen so nen Smalltalk mit mir geführt, als wäre das hier was ganz normales. Dann hat sie aber nichts gefunden und meine Freundin in der anderen Kabine - da hab ich schon mitbekommen - darf sich wieder anziehen, war alles ok. Und dann meinte ich auch so "Darf ich mich wieder anziehen?" Und dann meinte sie so, "Ne du drehst dich jetzt um und du bückst dich und du hustest, wenn ichs dir sage!" Also die haben in alle Löcher von mir reingeschaut, obwohl es keinen Anhaltspunkt dafür gab! Das war sehr erniedrigend. Und dann wollte ich mich wieder anziehen und dann meinte sie: "Ne, du ziehst dich an, wenn ichs dir sage." Und dann meinte ich so: Warum, wir sind fertig hier? "Ne, wir sind noch nicht fertig!" Und dann musste ich erneut meine Füße heben, obwohl die da schon nachgeschaut hat...und dann durfte ich mich anziehen und ich war auf 180!

Kathrin: Die Tatsache, dass sich Kayla - damals gerade 18 - ohne erläuterten Verdacht einer Leibesvisitation inklusive vaginaler und rektaler Untersuchung unterziehen muss, ist an sich schon schlimm genug. So wie die Untersuchung stattgefunden hat, war sie allerdings auch nicht rechtens.

Peisl: Also ich kann mir keine Konstellation vorstellen, wo ein Polizeibeamter seriöser Weise ohne jemandem aus dem medizinischen Segment beizuziehen eine Rektaluntersuchung vornehmen könnte. Allein schon weil er glaub ich, also meines Wissens, nicht darin ausgebildet ist rekatal zu untersuchen.

Kathrin: Ob eine Durchsuchung von Körperöffnungen von Polizisten durchgeführt werden kann, ist rechtlich unklar. Die Untersuchung von Körperöffnungen kann zu einer körperlichen Untersuchung nach §81a StPO zählen. Nach § 81a  darf eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Die Untersuchung muss in diesem Fall aber ein Arzt vornehmen und sie muss von einem Richter angeordnet werden. Das ist hier alles nicht passiert. Demnach war das, was Kayla erlebt hat ein klarer Rechtsbruch.
Ich musste lange recherchieren, um überhaupt Menschen zu finden, die mit mir über erlittene Polizeigewalt sprechen. Und alle haben bisher weder mit Anwälten, noch mit anderen Medien über ihre Erlebnisse gesprochen. Ich möchte aber klarstellen: Es sind Einzelaussagen, mir liegen keine Beweise im Sinne von Videoaufnahmen oder Ähnlichem vor, dass Kayla, Lisa, Lennart oder Simon die Wahrheit sagen. Ich persönlich habe dennoch am Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen keinen Zweifel.

Sprecher: Welche Gründe hat Polizeigewalt?

Kathrin: Die Ursachen für Polizeigewalt sind vielfältig. Die aktuelle Studie „Gewalt im Amt“ der Goethe-Universität in Frankfurt am Main benennt mögliche Gründe:

Sprecher: Mangelhafte Kommunikation, Stress, Überforderung, Personalknappheit, diskriminierendes Verhalten, diskriminierende Einstellungen von Beamt:Innen und inadäquate Einsatzplanungen können Auslöser für Gewalt sein.

Kathrin: Gleichzeitig hat sich das Verhalten der  potenziellen Angreifer verändert. Messerattacken haben beispielsweise stark zugenommen. Außerdem gibt es keine Fehlerkultur, wie mir Ralf Peisl erklärt.

Preisl: Der Polizeibeamte der einen Fehler macht, hat keine Möglichkeit diesen Fehler vernünftig einzuräumen. Wenn ein Polizeibeamter sagt “Ich hab jetzt da irgendeinem, der mir so auf den Kecks gegangen ist einfach mal einen auf die Nase gehauen”, der kann das nicht zugeben. Er und seine Kollegen - die meistens zu ihm halten, würde ich jetzt mal behaupten - sind ja letztlich gezwungen den Sachverhalt völlig anders darzustellen und einen möglicherweise gar nicht vorliegenden Angriff zu behaupten oder wie auch immer. Weil wenn er sagen würde “Ich hab im Dienst mich nicht unter Kontrolle und hab deswegen, weil mich jemand so zur Weißglut getrieben hat, dem eine auf die Nase gehauen” dann verliert ermöglicherweise seinen Job. Dass man die Beamten letztlich da so alleine dastehen lässt, dass ihre Chancen eigentlich nur leugnen ist, ist ein großes systemisches Problem in meinen Augen.

Kathrin: Viele Polizisten erfahren wiederum Gewalt in ihrem Berufsalltag. So auch Marco Menner, Hauptkommissar im Polizeipräsidiums Mittelfranken. Im Streifendienst werden Männer und ein Kollege in eine Fürther Kneipe gerufen. Ein Betrunkener hatte dort randaliert. Da der Mann sich nicht beruhigt, sehen sich die Beamten gezwungen, ihn in Gewahrsam zu nehmen. Um zu den Erstaufnahme-Zellen zu gelangen, müssen sie den aggressiven Mann in Handschellen eine Treppe herunterführen. Bei der ersten Stufe angelangt eskaliert die Situation.

Männer: Unvermittelt hat sich der Mensch - ja - versucht selbstständig die Treppe herunterzustürzen. Ich hab dann versucht diesen Sturz zu verhindern, hab mich dann vor ihn gestellt. In diesem Moment, wo eigentlich für mich nur der Nothilfegedanke gezählt hat, hat der Mensch das dann ausgenutzt, und hat mir mit der linken Schulter einen Stoß gegeben. So dass ich das Gleichgewicht verloren habe und statt ihm dann ich die Treppe dann runtergefallen bin. Hab dann am Boden angekommen sofort einen massiven Schmerz in der rechten Schulter wahrgenommen. Mir war auch sofort klar - ok es muss eine schlimmere Verletzung sein. Ich dachte eigentlich, es ist ein Bruch. Der Beschuldigte hat das auch mitbekommen, dass ich jetzt da ein Problem hab...und hat mich dann noch verhöhnt -ja -er hat mich ausgelacht und - ja so ungefähr - das geschieht mir gscheid recht. Dann schwinden auch schon so langsam meine Erinnerungen...Bin dann im Klinikum Fürth wieder aufgewacht.

Kathrin: Männer hatte sich durch den Sturz stark an der Schulter verletzt. Die ersten Monate nach der Verletzung waren schwer für ihn.

Sprecher: Reden wir über Zahlen.

Kathrin: Aus Gewalt entsteht Gewalt. Im Jahr 2022 geht Menner in die Statistik ein: 22 schwerverletzte Polizist:innen durch Gewalt gegen Polizeibeamt:innen in Bayern. Insgesamt gibt es 2022 in Bayern 2967 verletzte Polizist:innen. Ein Rekordwert und ein Zuwachs um 12,9 Prozent seit 2021.
Während Gewalt gegen Beamt:Innen hinreichend statistisch erhoben und dargestellt wird, sieht es andersrum weniger gut aus. Aufschluss über Gewaltdelikte durch die Polizei gibt die Polizeiliche Kriminalstatistik. Die ist jedoch nicht eindeutig. Es werden alle Amtsträger wie zum Beispiel Beschäftigte der Feuerwehr oder Rettungskräfte in der Statistik erfasst. Bei der Polizeilichen Kriminalstatistik handelt es sich außerdem um eine Verdächtigenstatistik. Es werden also Fälle erfasst, bei denen das Verfahren noch offen ist und der Ausgang unklar. 2021 gab es 5252 erledigte Ermittlungsverfahren gegen Polizist:Innen, nur 61 davon wurden verurteilt. so das statistische Bundesamt. Forschungen der Universiät Bochum sprechen von jährlich mindestens 12.000 Verdachtsfällen unrechtmäßiger Polizeigewalt. Und wie bereits erwähnt: Nur ein sehr geringer Prozentsatz aller Polizeigewaltsdelikte wird überhaupt angezeigt. Es wird klar: Das ganze Thema Polizeigewalt durch Beamt:innen liegt in Deutschland im Dunklen. Genaue Zahlen gibt es nicht.

Sprecher: Das Fazit.

Kathrin: Das Polizeisystem in Deutschland wird zurecht kritisiert. Organisationen wie beispielsweise Amnesty International fordern seit Jahren eine Überarbeitung dieses Systems. Die aktuelle Studie „Gewalt im Amt“ der Goethe-Universität in Frankfurt am Main nennt verschiedene Lösungsansätze.

Sprecher: Neue Kontrollinstitute.

Kathrin: Die bisherige Kontrolle der Polizei ist die Polizei. Beschwerden und Anzeigen laufen in Bayern über das Landeskriminalamt - dieses ist wiederum Polizeiintern. Eine externe Prüfstelle würde hier Abhilfe schaffen.

Sprecher: Eine Reform der strafrechtlichen Bearbeitung.

Kathrin: Eine erleichterte Anzeigemöglichkeit, eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte und eine reflektierte Herangehensweise der Justiz erleichtern eine strafrechtliche Bearbeitung. Bisher werden die meisten Fälle der Polizeigewalt fallen gelassen.

Sprecher: Eine Reform der Polizeiausbildung.

Kathrin: Eine intersektionale und rassismuskritische Ausbildung könne helfen um rassistische Strukturen und racial profiling zu verhindern.

Sprecher: Mehr Transparenz.

Kathrin: Das einheitliche Tragen und Verwenden von Bodycams trägt nicht nur zu milderem Vorgehen, sondern auch einer einfacheren Beweislage bei Übergriffen bei.

Sprecher: Stärkung der Position der Betroffenen.

Kathrin: Die Beschwerdemacht der Betroffenen von Polizeigewalt müsse gestärkt werden. Die Studienautoren fordern Empowerment-Arbeit, rechtliche Unterstützung und mediale Berichterstattung.
Mediale Berichterstattung. Das habe ich zumindest heute geliefert. Ich habe mit Betroffenen von Polizeigewalt gesprochen, Juristen und Polizisten. Ich bin auf systemische Missstände gestoßen, die mir vorher nicht bewusst waren. Es bringt nichts mit Fingern auf alle Polizeibeamt:innen zu zeigen. Aber mir wird klar: Wir haben in Deutschland ein Problem mit Polizeigewalt. Und wie immer gilt: Über Probleme muss muss man reden!

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