Gespalten – Die Geschichte einer Ausgeschlossenen

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Wie ist es, von seiner Familie ausgeschlossen zu werden? Vor allem für eine Entscheidung, die man vor 30 Jahren getroffen hat? Das hat sich unsere Autorin Lisa gefragt. Ihre Mutter ist eine Ausgeschlossene der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas. Wie es ist als ein Teil dieser Gemeinschaft aufzuwachsen hört ihr in ihrem Podcast "Gespalten – Die Geschichte einer Ausgeschlossenen".

ST: Wie ist es, von seiner Familie ausgeschlossen zu werden? Vor allem für eine Entscheidung, die man vor 30 Jahren getroffen hat? Meiner Mama erging es so, sie ist eine Ausgeschlossene. Ausgeschlossen aus der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas. In diesem Podcast möchte ich ihre Geschichte erzählen. Und damit auch meine. Ich bin Lisa Holtz und ihr hört: „Gespalten – die Geschichte einer Ausgeschlossenen."
Zeugen Jehovas kennen die meisten nur als diese nervigen Menschen, die an der Haustür klingeln und mit einem über Gott sprechen wollen - doch für meine Mama und mich gehören Zeugen Jehovas zur Familie. Meine Großeltern waren Zeugen und auch eine Tante und ein paar meiner Cousinen sind welche. Ich bin mit Zeugen Jehovas aufgewachsen, war jedoch nie Teil der Gemeinschaft. Doch wie genau ist das, als Kind in dem Glauben aufzuwachsen?

Angela H.: Meine Kindheit an sich war sehr schön. Für mich war das als Kind völlig normal. Dadurch, dass meine Eltern sehr liberal waren. Das einzige war mir haben halt keine Geburtstage oder nicht Weihnachten gefeiert. Ansonsten ich bin ja auf dem Dorf groß geworden und hatte eigentlich alle Freiheiten. Ja, also wie gesagt, ich hatte sehr schöne Kindheit dadurch, dass Papa selbstständig war, sind wir dann oft nach Mailand oder auch an den Gardasee usw. gekommen.

Lisa: Stell dir vor, du bist wieder 8 und sitzt in der Versammlung. Wie war das für dich?

Angela H.: Es sind alles sehr liebe Menschen gewesen und also ich weiß noch damals unser Königreichssaal wir hatten tatsächlich eine Band, die gespielt hat und dann waren Stuhlreihen, wo wir dann gesessen sind und zugehört haben und vorne war dann der Redner.

ST: Meine Mutter und ich unterhalten uns öfter über die Zeugen und auch ihre Kindheit. Mir vorzustellen, wie sie als Kind da sitzt, mit ihren blonden Zöpfen und den großen braunen Augen, und dem Redner zuhört, ist aber etwas anderes. Irgendwie etwas intimer. Ich hatte nie ein genaues Bild, was sie eigentlich an dem Glauben mochte.  

Angela H.: Und dadurch, dass es halt auch eine Gemeinschaft war, dass man dann zwischendurch auch mal den Königreichssaal zum Beispiel gemeinsam geputzt hat. aber es war ohne Zwang. Das war war schon freiwillig. Also ich kann mir noch dran erinnern, dass da dann mit rumgerannt bin und bin mit dem Staubtuch in der Hand und dort ein bisschen rumgewischelt hab.
Was ich gemocht habe zum Beispiel, das waren Kongresse. Die waren immer sehr schön. Und da gab es dann auch Art Theaterstücke, wo was aufgeführt worden ist, was ich total schön fand, brauchte dann halt diese große Gemeinschaft, wo man dann andere Leute mal wieder getroffen hat.

ST: In dem Königreichsaal, finden zweimal pro Woche Zusammenkünfte statt. Also der Gottesdienst. Bei den Zusammenkünften gibt es auch das Wachturmstudium. Die Zeugen Jehovas bekommen regelmäßig eine Studienausgabe des Wachtturms, die von ihnen Zuhause durchgearbeitet wird. Darin werden verschiedene Themen behandelt, wie Glaubensfragen und Wertevorstellungen. Zu diesen Themen werden dann Fragen gestellt, die mit Hilfe der Bibel beantwortet werden sollen. Der Wachtturm ist die Zeitschrift der Zeugen Jehovas. Er soll den Zeugen bei der Reflexion des Glaubens helfen und er gibt auch immer wieder Ratschläge oder klärt Fragen. Aber er bereitet die Zeugen auch auf den Weltuntergang vor und zeigt ihnen immer wieder auf, warum die Gemeinschaft und der Glauben der Zeugen Jehovas die „Wahrheit“ wäre.

Lisa: Ich weiß noch, wie`s für mich war, als Kind da halt mit zu gehen. Also dass ich immer ruhig sein musste und sollte. Und ich weiß auch mal, da saß ich neben Oma oder Opa und ich hatte ein Buch in der Hand. `N biblisches Kinderbuch. Und ich habe da halt vor mich mehr Gebrabbelt. Der Sprecher hat irgendwie dann dieses Wachtturm Studium gemacht, wo ja dann gefragt wird und vorgestellt wird, und der Redner ins Publikum rein frägt, ob jemand dazu was zu sagen hat oder noch Fragen hat oder was die Leute davon halt halten, was sie halt herausgefunden haben. Und Oma oder Opa meinte zu mir, ich soll ja still sein, weil der ja dann sonst herkommt und mich auch frägt, was ich davon halte. Und ich gar keine Ahnung hatte, nicht Bescheid wusste. Und ich habe dann als Kind nicht so recht verstanden, was ich da eigentlich anschaue, was die da eigentlich erzählen. Hast du das als Kind verstanden?

Angela H.: Na ja, man hat halt die biblischen Geschichten. Dafür habe ich mich als Kind ganz normal interessiert, wie jedes Kind sich für Geschichten interessiert. Wachtturm Studium fand ich eigentlich immer ziemlich langweilig.

ST: Biblische Geschichten haben mich als Kind auch interessiert. Sie können gut erzählt und dadurch spannend sein. Manchmal aber auch sehr furchterregend. Aber es bleiben Geschichten. Doch was, wenn diese Geschichten und deren Interpretation als absoluter und unverrückbarer Maßstab für den Glauben und für das Leben vorgesetzt werden?

Lisa: Ich hatte ja immer das Gefühl, dass man da nicht wirklich was hinterfragen darf. Wenn ich mit meiner Tante über bestimmte Themen gesprochen habe, dass zum Beispiel als ich meine Kette anhatte mit dem Kreuz, wo sie dann stundenlang mit mir drüber diskutiert hat, wie falsch das doch wäre mit dem Kreuz. Oder mit der mit dem Thema: Mann steht über Frauen. Wann hast du dir denn gedacht: Warte mal, das ist irgendwie so nicht richtig?

Angela H.: Erst sehr viel später tatsächlich. Also als Kind habe ich das gar nicht hinterfragt.

ST: Doch aus Angela dem Kind - wird eine Jugendliche und dann eine junge Frau. Sie interessiert sich für Jungs und möchte das Leben und die Liebe entdecken.  Doch es gibt ein striktes Gesetz: Vor der Ehe geht rein gar nichts.

Angela H.: Mit 18 wollte ich heiraten. Man ist halt in ner Clique drin. Man verliebt sich, man lernt jemanden kennen. Gibt ja kein Sex vor der Ehe. Ja, und dann findet man halt einen Partner, mit dem man halt alt werden möchte, der zu einem passt. Dann habe ich mich damals taufen lassen. Aber mit 18 habe ich dann doch etwas die Panik bekommen und habe meinem damaligen Verlobten gesagt mir geht es zu schnell oder ich bin noch nicht so weit, dass ich jetzt heiraten möchte, ich möchte noch warten.

Lisa: Du warst da ja jünger wie ich jetzt bin. Und ich kann es mir gar nicht vorstellen. Allein jetzt mit 23 zu heiraten. Das wäre mir auch schon viel zu früh.

Angela H.: Und dann wurde ich vor die Entscheidung gestellt entweder wir heiraten oder es ist Schluss. Und dann habe ich gesagt: Ja, dann ist Schluss und das war's dann mit der Beziehung. Wir hatten tatsächlich schon eigentlich eine Wohnung, das Brautkleid war abgesteckt, die Einladung waren eigentlich kurz vorm Verschicken. Also es waren vielleicht noch sechs oder acht Wochen bis zur Hochzeit.

Lisa: Und wenn man dann drüber nachdenkt als Zeuge darf man sich ja eigentlich auch nicht scheiden lassen. Dann mit 18 zu wissen, okay, ich müsste mit der Person mein ganzes Leben verbringen.

Angela H.: (leicht sarkastisch) Für mich war das einfach normal. Man lernt jemand kennen, heiratet und bleibt bis zum Ende seines Lebens glücklich.

ST: Doch dann, eine folgenreiche Begegnung. Meine Mutter verliebt sich neu, in einen jungen Mann. Die beiden werden ein Paar. Das Problem dabei: Er ist kein Zeuge Jehovas.

Angela H.: Ja, ich hatte dann einen sogenannten Weltlichen. Ich hatte einen Freund, der außerhalb der Glaubensgemeinschaft war. Somit hat mein Lebensstil hat nicht mehr dazu gepasst. Ich hatte dann ein Ältesten Gespräch.

ST: Das Amt des Ältesten ist das höchste innerhalb einer Versammlung, also einer Gemeinde. Es kann nur von Männern ausgeführt werden. Die Ältesten schützen die Versammlung, kümmern sich um deren Mitglieder, Lehren und sind bei Fragen und bei Problemen für jeden Einzelnen da. Sie führen auch Gespräche, wenn es Redebedarf gibt. Die Ältesten leisten Beistand, wenn man sich im Glauben nicht mehr sicher ist. Und wer gegen die Gebote verstößt, wird zum Gespräch gebeten. Und wenn die Taten nicht bereut werden – durch die Ältesten ausgeschlossen.

Angela H.: Ich habe im Prinzip mein Verhalten nicht bereut und habe mich für das weltliche Leben entschieden und somit war ich aus der Gemeinschaft komplett raus, weil ich ja mich habe taufen lassen, bevor ich heiraten wollte. Wenn ich nicht getauft wäre, wäre es nicht so schlimm gewesen. Schlimm war nur, dass ich halt dadurch, dass ich mich getauft habe, mich Jehova hingegeben hat oder bezeugt habe nach außen: Ich bin eine getaufte Zeugin.

ST: Mit der Taufe bekennt man sich zu Jehova. Man stellt ihn an erste Stelle im eigenen Leben Gleichzeitig bekennt man, dass man lebt, um Jehovas Willen Folge zu leisten und ihm zu gefallen. Wer also im Verständnis der Zeugen Jehovas eine Sünde nach der Bibel begeht und diese nicht bereut, wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. So bleibt die Gemeinde laut den Zeugen „geistig rein“. Im Fall meiner Mutter war das eben der Entschluss, mit einem Mann außerhalb der Glaubensgemeinschaft zusammen zu sein.

Angela H.: Dann wurde das in der Versammlung verkündet. Dann war ich ausgeschlossen, ja. Dann haben sich die Leute im Prinzip abgewendet, ja. Es gab aber auch in der Versammlung, im Freundeskreis von meiner Eltern Leute, die dann gefragt haben, wie es mir geht und so.

Lisa: Warst du nicht völlig unten durch?

Angela H.: Nicht bei allen. Natürlich triffst dich dann auch nicht mehr und machst dann keine gemeinsame Unternehmungen mehr, so wie du es halt vorher gehabt hast. Das ist dann halt alles weg. Bei mir war es aber so, dass jetzt die Familie nicht den Kontakt zu mir abgebrochen hat.

Lisa: Darüber bin ich auch sehr froh. Wie lief dann dein Leben weiter ab, nachdem du ausgeschlossen warst?

Angela H.: In der Familie war es so, dass ich dann trotzdem ganz normales von dem Familienleben gehabt habe. Mit meinen Eltern das ja ich bin dann auch zu meinem Freund gezogen, hat aber dann auch trotzdem Kontakt zu meine Eltern. Ich hatte tatsächlich diesen kompletten Halt noch in der Familie. Da bin ich auch sehr dankbar drum. Ich glaube, das war auch das Warum das immer mein Glaube trotz alledem war.

Lisa: Ich habe es als Kind gar nicht so wahrgenommen, dass es eigentlich was besonderes ist, wie es bei dir ablief. Also dass du ja im Prinzip mit den Großeltern, mit deinen Geschwistern noch so guten und engen Kontakt hast. Also für mich war das ja eine völlige Normalität, dass du trotz dem, dass du ausgeschlossen bist, noch so Kontakt zu den Großeltern hattest. Aber das war ja eigentlich auch vor allem dadurch, dass die Großeltern so liberal waren. Ja, und ich mein, ich kann mich noch daran erinnern, wie Oma jedes Jahr zum Geburtstag, angerufen hat, um uns zu gratulieren. Oder als alle um mich herum Konfirmation hatten und ich ja nicht, weil ich ja nicht evangelisch getauft oder in einer anderen Art und Weise getauft bin, hat die Oma mir Geld zugesteckt, dass ich halt einfach nicht so außen vor bin, im Gegensatz zu den anderen. Das war ja schon was Besonderes.

ST: Doch dieser Kontakt, zur Familie und zu anderen Zeugen Jehovas entspricht für Ausgeschlossene nicht der Normalität. Bei der Hochzeit meiner Cousine, die eine Zeugin Jehovas ist, durften meine Mutter und eine ihrer beiden Schwestern, nicht dabei sein. Diese Schwester ist ebenfalls aus der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas ausgeschlossen. Aber keine Sorge, es war nicht die Mutter der entsprechenden Cousine Ich wurde eingeladen und auch andere aus meiner Familie, die keine Zeugen Jehovas sind, durften bei der Hochzeit teilnehmen. Nur eben meine Mutter nicht.

Angela H.: Durch die anderen Zeugen. Dadurch, dass ich halt mit 18 ausgeschlossen worden bin, durfte ich im Prinzip dann Jahrzehnte später nicht auf die Hochzeit.

Lisa: Ich hatte viel Spaß auf der Hochzeit, aber ich hatte immer in meinem Hinterkopf und mich hat es auch verletzt, dass du nicht da sein durftest. Ich habe mich gefragt okay, warum eigentlich? Warum darf Mama jetzt eigentlich nicht hier dabei sein? Warum wäre das eine Sünde für die anderen, wenn sie mit dir sprechen würden? Und das konnte ich einfach nicht verstehen.

Angela H.: Einfach nur aufgrund der Tatsache, dass ich ausgeschlossen bin. Das hat mich schwer getroffen, muss ich sagen. Weil ich habe die Kinder aufwachsen sehen und das tat richtig weh. Das war dann schon richtig, wo ich erst mal gedacht habe: Nee, das ist nicht richtig. Da stimmt in dem ganzen System was nicht.

Lisa: Konntest du denn mit irgendwem darüber sprechen oder musstest du damit quasi alleine fertig werden?

Angela H.: Ich musste eigentlich damit alleine fertig werden. Ich hatte es meiner anderen Schwester erzählt, dass mich das auch verletzt. Die auch, die auch ausgeschlossen ist und die auch nicht eingeladen war. Aber so richtig, dass ich jemand hab, der mich an die Hand genommen hat, nie.

Lisa: Das so zu hören erschreckt mich.  Von den Menschen, die man liebt, so zurück gewiesen zu werden ist ein sehr verletzendes Gefühl. Und das alleine durchzustehen ist für mich unvorstellbar.

ST: Es gibt YouTube Kanäle, die über einen Ausstieg aufklären. Auch gibt es Selbsthilfegruppen und Foren, in denen man Hilfe finden kann. Zum Beispiel jz.help. Es gibt auch psychologische und psychotherapeutische Unterstützung.
Habt keine Angst, euch Hilfe zu holen.

Lisa: Für mich kam es halt dann irgendwie so vor, als dann Oma gestorben ist, dass Oma so als Bindeglied noch funktioniert hat zwischen uns allen, also zwischen der Zeugen Jehovas Seite und der nicht zeugen Jehova Seite.

ST: Nach dem Tod meiner Großmutter ist der Kontakt zu den Zeugen Jehovas in meiner Familie etwas weniger geworden. Eine der Schwestern meiner Mutter ist noch Mitglied bei den Zeugen Jehovas. Für meine Mutter kam der Ausschluss aus der Familie also eher schleichend.

Angela H.: Der Kontakt zu meiner Schwester hat sich dahingehend verändert, dass man mehr Abstand gekriegt haben. Es war nicht mehr ganz so schwesterlich, ja, am Anfang schon noch, aber da gab es einige Dinge, wo der Kontakt dann immer weniger geworden ist.

Lisa: Nachdem Oma gestorben ist, ist ja dann noch Opa von uns gegangen. Das ist jetzt auch schon drei Jahre her, dass Opa gestorben ist und du hast da ja sehr getrauert. Ich würde sagen auch in Glaubensfragen seid ihr ja teilweise auseinander gegangen Dem ganzen entgegensteht, dass du dich ja in diesem Zeitraum aber auch wieder den Zeugen ein bisschen angenähert hast. Wie passt das zusammen?

Angela H.: Ich hatte mich eigentlich vor Opas Tod den Zeugen angenähert. Ich habe das bloß nicht breitgetreten. Und auch nicht meiner Schwester erzählt, weil ich immer gedacht habe, dass diese Sache zwischen Jehova und mir, ob ich wieder in die Glaubensgemeinschaft zurückgehe oder nicht. Es gab Dinge, die einfach nicht in Ordnung waren, Verhaltensweisen danach, die einfach nicht in Ordnung waren.

Lisa: Verhaltensweise von meiner Tante.

Angela H.: Genau, der Verhaltensweise von deiner Tante. Vor Opas Tod habe ich mich der Versammlung noch mal angenähert, habe gute Gespräche gehabt. Wäre auch in die Versammlung wieder aufgenommen geworden und habe das bloßmeiner Familie net erzählt, weil es auch zwischen mir und Jehova war und aufgrund aber der Verhaltensweise habe ich mich dann zurückgezogen.

ST: Nicht weit von unserem Zuhause entfernt gibt es ebenfalls eine Versammlung der Zeugen Jehovas. Eine Zeugin aus dieser Versammlung kam uns immer wieder besuchen, um mit meiner Mama und manchmal auch mit mir über Jehova zu sprechen.  Eine etwas ältere, sehr liebe Dame, die stets darauf bedacht war, meine Mutter dabei zu unterstützen wieder Halt im Glauben zu finden. Während den Corona Beschränkungen warf sie uns immer wieder den Wachtturm und persönliche Briefe für meine Mutter in den Briefkasten. Sie wusste, dass meine Mutter ausgeschlossen ist, hat aber trotzdem den Kontakt zu ihr gehalten. Ich fand es schön, dass meine Mutter jemanden und etwas hatte, das ihr Halt in der Zeit der Trauer, um meine Großeltern und während den Lockdowns gegeben hat.

Angela H.: sie war für mich so ein roten Faden, immer noch zur Versammlung, wo das ganze auch aufrechterhalten hat.

Lisa: Du warst ja aber trotzdem noch  ausgeschlossen.

Angela H.: Ja genau, aber sie kam ja, hat mir Zeitschriften gebracht. Wir haben uns gut unterhalten. Bis zu dem Zeitpunkt, wo eine andere Schwester mitkam und ja, ich dann auch wieder gesagt habe, dass ich ausgeschlossen bin. Und dann durfte die Dame, die drei Jahre lang so den Halt für mich war, in die Richtung, durfte mich dann nicht mehr besuchen und durfte ja sich dann auch mit mir nicht mehr unterhalten. Das durften ja dann nur die Ältesten.

Lisa: also da kam mir dieser wunderbare Spruch, [Lisa und Angela] dass du der Sauerteig wärst.
Ich war ja oben gestanden, die standen mit dir vor der Haustür, und ich hatte ja mein Fenster offen und habe das ja gehört. Und ich habe mich so erschrocken, weil es drei Jahre lang ging das ja vollkommen klar. Und auf einmal war es wieder.War das ein Problem. Und du warst sozusagen die böse.

Angela H.: Ja, ich war wieder die, mit der man keinen Kontakt haben durfte. Wieder diese Ausgeschlossene. Nicht der Mensch, der ich wirklich bin und als den ich gern gesehen würde, sondern einfach nur begrenzt auf diese eine Tatsache. Nicht ich als Mensch, sondern die Abtrünnige, die Ausgeschlossene, der Sauerteig, der die Masse verseuert.

ST: Das von meiner Mutter so zu hören und zu merken wie sehr es sie verletzt, tut ganz schön weh. Für mich ist es unbegreiflich, wie man als Christ jemanden anderen so verletzen kann.

Lisa: Und wie hat das deine Einstellung zu den Zeugen Jehovas und zum Glauben geändert?

Angela H.: Ja, ich habe mich dann von den Zeugen zurückgezogen und das Ganze sehr schwer hinterfragt. Die Erfahrung, die viele Zeugen Jehovas machen, wenn sie ausgeschlossen werden und nicht so ein liberales Umfeld haben, sondern komplett alles verlieren. Ihre Familie, ihre Freunde. Ja, ganzes Leben eigentlich. Die Erfahrung hatte ich ja nicht.

Lisa: Wenn man ausgeschlossen ist, dann ist ja eine Begründung von den Zeugen Jehovas, dass es ein Zeichen der Liebe wäre, dass man euch oder dass man die Aufgeschlossenen ausgeschlossen lässt, also dass man den Kontakt zu den meidet.

Angela H.: Damit du im Prinzip dein Verhalten überdenken kannst. Und du kannst ja auch dann in die Gemeinschaft zurückkommen.

Lisa: Aber möchte man das?

Angela H.: Ne.

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