”I really want this war to end”

Yuval Merksamer

Was bedeutet Krieg? Mein Freund Yuval ist 19 Jahre alt und lebt im Norden Israels. Er hat mir erzählt, wie er den Angriff der Hamas auf Israel erlebt hat, und wie es ihm im Moment geht. Ein Bericht von Finn Sanders.

"Ich habe es in dem Moment herausgefunden, als es anfing. Es war 6:30 Uhr, und ein Mädchen hat in einer WhatsApp-Gruppe geschrieben: »Geht es allen gut?« Und ich habe gefragt: "Was zur Hölle ist hier los?" Und anscheinend haben die Hamas Raketen geschickt."

Berichtet Yuval Merksamer. Er ist 19 Jahre alt und lebt in Haifa, einer Stadt im Norden Israels. Als die Hamas am 07. Oktober 2023 Israel angriffen, war er mit seiner Kamera spazieren.
Yuval und ich kennen uns von Discord – über einen Server für Fotografie. Persönlich getroffen haben wir uns noch nie. Aber seit eineinhalb Jahren schreiben wir fast jeden Tag.
Am Tag meines Gesprächs mit Yuval, ist der 16. Oktober 2023. Eigentlich wäre Yuval vor wenigen Stunden wieder in Haifa gelandet. Eine Woche Berlin - das war sein Plan. Dort wollten wir uns treffen. Doch dann griffen die Hamas an, und Yuval blieb in Israel. Jetzt sitzt er in seinem Zimmer vor dem Laptop und erzählt mir vom Krieg:

"Die Terroristen sind einfach eingedrungen. Das kam für mich völlig überraschend, denn vor dem Angriff war nichts Ungewöhnliches passiert. Ich war auf dem Weg zu meinem täglichen Fotospaziergang in der Innenstadt von Haifa, und ich war völlig schockiert. Ich habe versucht, meinen Spaziergang fortzusetzen, aber all diese beängstigenden Gedanken gingen mir durch den Kopf und ich konnte einfach nicht normal weitermachen."

Drei Tage nach Beginn des Hamas-Angriffs schreibt Yuval mir auf WhatsApp:

»Jemand aus meinem Fotografie-Kurs wurde getötet.«

»Mir geht es gut, ich bin ziemlich geschockt, aber es geht mir gut.«

In diesem Moment wusste ich - es reicht nicht, nur die Fakten zu diesem Krieg aufzuzählen.
Bei unserem Video-Telefonat ist Yuvals Zimmer hell beleuchtet. Auf dem Bett liegt eine Decke, mit Mustern wie von einem Heavy Metal-Album. Daneben sein Rucksack mit der Kameraausrüstung. Freiberuflicher Fotograf zu sein – vielleicht für Konzerte – das sei sein Traum.
Yuval sieht müde aus, hat dunkle Ringe unter den Augen. Er wirkt gefasst, während er spricht, nimmt sich die Zeit, um nach den richtigen Worten zu suchen, macht lange Pausen. Über seinen Klassenkameraden möchte er nicht sprechen. Wie es ihm jetzt geht, frage ich ihn. Er rutscht auf seinem Stuhl hin und her, bevor er antwortet.

"Um ehrlich zu sein, bin ich sehr verunsichert".

Bei ihrem Terrorangriff haben die Hamas mehr als 1.300 Menschen getötet und mehr als 3.600 Menschen verletzt, schreiben die Nachrichtenagenturen. Das ist unvorstellbar. Unvorstellbar grausam. Ich frage mich - was heißt das für die Menschen vor Ort? Was heißt das für Yuval?

"Es ist ein einziges Wort. Beängstigend. Ich öffne die Nachrichtenseiten etwa ein- oder zweimal am Tag. Ich will es nicht zu viel werden lassen. Ich will mich selbst nicht damit überlasten. Ich will auf dem Laufenden bleiben, aber nicht auf eine zwanghafte Art. Ich bin um, ich weiß nicht, drei Uhr morgens aufgewacht. Normalerweise bin ich um sechs, sieben Uhr morgens aufgewacht. Aber als der Krieg begonnen hat, ist meine innere Uhr völlig durcheinander geraten. Ich leide oft an Panikattacken, an Stimmungsschwankungen. Viel mehr als sonst und viel extremer. Ich fühle mich weniger sicher, aber ehrlich gesagt weiß ich, dass Haifa außerhalb der Raketenreichweite von Gaza liegt."

Berichtet der 19-Jährige. Und trotzdem: Einmal musste Yuval schon in den Luftschutzraum in seinem Haus. 40 Minuten harrte er aus. Dann kam die Entwarnung - Fehlalarm. Auch wegen solcher Vorfälle geht der Krieg ihm nahe:

"Ich habe ein paar Freunde, die in der Armee dienen, und ich mache mir wirklich Sorgen um sie. Meine Eltern haben gesagt, dass es völlig normal ist, wenn sich mein psychischer Zustand verschlechtert, weil der psychische Zustand bei fast allen Menschen schlechter geworden ist. Also gehe ich meistens lieber schlafen. Das ist der beste Weg, um dem zu entkommen, denke ich."

Sagt Yuval. Gerade in den Tagen vor dem Interview ist es immer schwieriger, Yuval zu erreichen. Immer öfter antwortet er mir spätabends, er habe den Tag verschlafen. Ich frage Yuval, wie es den Menschen in seinem Land geht und was ihnen Hoffnung gibt. Er sagt, die Menschen seien näher zusammengerückt im Krieg.

"Die Leute haben aufgehört, die Menschen als politisch rechts oder links zu betrachten. Wir sind alle Israelis, und wir haben alle denselben Feind, nämlich die Hamas. Die meisten Menschen sind wirklich wütend, und ich kann Ihnen nicht sagen, ob ich genauso fühle, aber ich bin wütend. Ehrlich gesagt, auf beide Seiten. Ich bin natürlich wütender auf die Hamas, aber ich bin auch wütend auf die Regierung und die Geheimdienste, die das nicht kommen sahen."

Was er sich von der Zukunft wünscht, möchte ich von Yuval wissen. Seine Antwort ist einfach: Frieden.

"Die Menschen, die entführt wurden, sollten wir zurückholen und dann diesen Krieg irgendwie beenden. Ich wünsche mir einfach, dass die Dinge ein Ende haben. Ich möchte wirklich, dass dieser Krieg endlich zu Ende ist."

Das Interview mit Yuval fand am 16. Oktober 2023 statt. Die Zitate und Nachrichten sind von der Redaktion aus dem Englischen übersetzt.

Was bedeutet Krieg? Mein Freund Yuval ist 19 Jahre alt und lebt im Norden Israels.
Er hat mir erzählt, wie er den Angriff der Hamas auf Israel erlebt hat, und wie es ihm im Moment geht.

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